Deutsch-Amerikanischer Almanach

Nina Gartz
Indianer und Alkoholmißbrauch

Schluß

In den Jahren 1977 und 1978 führte man unter deutschen Schülern der Unter- und Mittelstufe eine Befragung zum Thema "Indianer" durch. Sie sollten unter anderem ihnen geläufige Wörter aus der Indianersprache nennen. "Feuerwasser" war einer der am häufigsten aufgeführten Begriffe. Auf die Frage "Wie leben die Indianer heute?" erschien an vorderer Stelle das Thema "Alkoholismus".134 Wie sollten deutsche Kinder und Jugendliche auch anders auf diese Fragen antworten, wenn sich ihnen in Literatur und Film tagtäglich das Bild des betrunkenen Indianers bietet, wenn selbst indianische Autoren und Filmemacher auf die gängigen Klischees zurückzugreifen scheinen. Auch die hiesige Werbeindustrie sieht kein Unrecht darin, einen Indianer unter der Aufschrift "Ich trinke Jägermeister, weil ich jetzt endlich alle 73 Karl-May-Bände zusammenhabe" abzubilden (Lutz Abb. 51). Die amerikanische Reklamemaschinerie verspürt ihrerseits keine Gewissensbisse bei der Vermarktung eines alkoholischen Getränks als "Crazy Horse Malt Liquor": "The company and their supporters can't understand why American Indians wouldn't find having one of their greatest heroes gracing bottles of beer a compliment" (Kilpatrick 122). Selbst Cartoons und Comics, die oft eine jugendliche Zielgruppe ansprechen, schrecken vor einer Fortführung des Stereotyps nicht zurück. Homer Simpson begibt sich in einer kürzlich ausgestrahlten Episode als Missionar in den Dschungel Lateinamerikas, um einer Horde Wilder die Freuden des Glücksspiels und Alkoholkonsums näherzubringen. Und der Franzose Claude de Ribaupierre zeichnet in seiner Comic-Serie Red Road (1994) das Bild eines dekadenten, vom Alkohol zugrunde gerichteten Reservats in South Dakota - ohne auch nur ein negatives Versatzstück auszulassen: Dem Vater hängt der Bierbauch über die Hose, er konsumiert eine Bierdose nach der anderen, uriniert anschließend in den Garten, fährt betrunken Auto und tötet aus reiner Frustration seine Schwiegermutter.

Das Stereotyp des "drunken Indian" ist demnach bis heute sowohl in den USA als auch in Europa allgegenwärtig. Europäer und Amerikaner gleichermaßen frönen einem Elendstourismus, der sie ausschließlich in die Reservate des Süd- und Mittleren Westens führt, die zu den Ärmsten des Landes gehören, und sehen so die in Literatur, Film und Werbung verbreiteten Vorurteile bestätigt. Daß die zerbrochenen Weinflaschen und rostenden Bierdosen am Straßenrand lediglich Ausdruck einer Minderheit von zugegebenermaßen exzessiven Trinkern ist, bleibt ihnen verborgen.135 Vielleicht schafft jedoch ein neues Stereotyp kurzzeitig Abhilfe: das der reichen Kasino-Indianer. "Erfolg ist die süßeste Rache", so applaudiert Viola Schenz den geschäftstüchtigen Indianern. Der Spielpalast wird zum Büffel der Moderne hochstilisiert. "'Schlachtfeld der Armut,' 'Freiluft-Slum' und 'heruntergekommenster Winkel Amerikas' - so hatten Journalisten noch vor wenigen Jahren die von Alkoholismus und selbstzerstörerischer Gewalt besonders schwer heimgesuchten Reservate getauft. Bis dann die Nachfahren von Crazy Horse und Sitting Bull das 1988 von Washington gewährte Sonderrecht zu nutzen begannen, auf ihrem Land Kasinos zu betreiben", schreibt das P.M. Magazin und reitet damit auf der Welle der alten und neuen Klischees (Sprado 94). Es bleibt zu hoffen, daß den Indianern irgendwann einmal in naher Zukunft, wenn sowohl negative als auch positive Stereotypen ausgedient haben, ein Leben fernab der Extreme von gut und böse, reich und arm, betrunken und nüchtern vergönnt ist.

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