Deutsch-Amerikanischer Almanach

Nina Gartz
Indianer und Alkoholmißbrauch

F.Präventions- und Rehabilitationsmaßnahmen

May erläutert in seinem Aufsatz über Alkoholprogramme für Indianer drei mögliche Ansatzpunkte, wie dem Problem beizukommen sei (siehe "Prevention Programs" 190ff). Beim ersten Interventionstypus geht May - etwas überraschend - von der Unvermeidbarkeit des Alkoholmißbrauchs durch indianische Jugendliche aus. Er schreibt: "The goal should be to keep people alive and healthy during the youthful period of experimentation with alcohol". Das heißt, es sollten Rahmenbedingungen - wie zum Beispiel eine weitreichendere medizinische Versorgung und ein Ausbau der Infrastruktur - geschaffen werden, welche die negativen Begleiterscheinungen des exzessiven Alkoholkonsums minimieren. Neben dieser primären Prävention wirbt May natürlich auch für eine sekundäre Prävention, eine umfassende Informationspolitik, welche die indianische Bevölkerung bis in die entlegensten Winkel der Reservate mit den negativen Auswirkungen des Alkoholmißbrauchs vertraut machen soll. Hier müssen besonders Kinder und Jugendliche angesprochen werden, denn sie sind die Alkoholkonsumenten von morgen, und außerdem treten sie westlicher Einflußnahme weitaus aufgeschlossener gegenüber als ihre Eltern.91 Es bedarf ansprechender Vorbilder, sogenannter "moral entrepreneurs", die einen Alltag ohne Alkohol vorleben. Dabei dürfe aber nicht übersehen werden, daß der Mißbrauch von Spirituosen bereits ein real existierendes gegenwärtiges Problem ist, daß nicht nur nach Präventions- sondern auch nach Rehabilitationsmaßnahmen verlangt.

Bei allen aufgeführten Interventionsmethoden sollte auf ein moralisches Urteil verzichtet werden. Die häufig der weißen Mittelklasse entstammenden Reformer dürfen Alkoholkonsum nicht kategorisch verdammen, sondern müssen auch Verständnis für die Motivationen und Gründe ihrer indianischen Klienten aufbringen. Die Gefahr besteht nämlich, daß die logische Konsequenz einer Moralisierung die Heraufbeschwörung des "drunken Indian"-Stereotyps ist, das den Indianer als hoffnungslosen, nicht therapierbaren Fall abstempelt (siehe Baker 194 / 202 / Davis 26). "Middle-class whites [...] confuse their concern for health and well-being with their embarassment and disgust at any behavior which to them is déclassé", wirft Lurie Missionaren, Sozialarbeitern, Psychiatern und anderen vor (143f; siehe auch Marshall452). "Skid Row has much to offer", schreibt auch Brody, und er wehrt sich mit dieser Aussage gegen ethnozentrische Geringschätzungen desjenigen Stadtbezirks, der in der Metropole oftmals die einzige Anlaufstelle für Indianer bietet (211; siehe auch Seiten 252 / 262). Auch müssen Interventionsstrategien, die auf eine vollkommene Abstinenz pochen, überdacht werden. Eventuell sollte man die Anstrengungen mehr auf die Anerziehung eines verantwortlichen Umgangs mit Alkohol konzentrieren (siehe Baker 202 / Stratton 59 / Mail & MacDonald 22). Vielleicht könnte man der Moralisierung auch durch eine größere Einbeziehung von Indianern bei der Planung und Durchführung von Programmen Einhalt gebieten. Native Americans wird heute von vielen Seiten eine hohe Kompetenz in Alkoholangelegenheiten bescheinigt, die bei der Bekämpfung des Mißbrauchs oft von Nöten ist. Ein größerer indianischer Input wäre auch ein weiterer Schritt weg vom Paternalismus und hin zur indianischen Selbstbestimmung (siehe Mail & MacDonald xi / 18ff / Leland 97 / May, "Prevention Programs" 187f / Westermeyer 115 / Hamer & Steinbring 311 / Lamarine 152). Darüber hinaus verfügt indianisches Personal über mehr Einsicht in die Mentalität der indianischen Patienten, die, wie häufig attestiert wird, stark von der westlichen abweicht. Der hinderlichste Aspekt der indianischen Mentalität bezüglich der Bekämpfung des Alkoholmißbrauchs ist das Kredo der Nichteinmischung (noninterference). Man toleriert die Schwächen anderer bedingungslos. "Leben und leben lassen" lautet das Motto, das eine große Barriere für Interventionsprogramme darstellt (siehe Baker 200f / Hamer & Steinbring 309 / Van Stone 39f). Zudem wird Indianern nachgesagt, daß sie sehr gegenwartsorientiert leben, sich also eher kurzfristigen Annehmlichkeiten als langfristigen Zielen verschreiben. Sie richteten sich auch mehr nach der "natürlichen Zeit" als nach festen Terminen, was den Grundsätzen einer fristgerechten Therapie widerspricht (siehe Baker 200f / Hamer & Steinbring 23). Ein Beispiel für hohe indianische Beteiligung an einem Projekt stellt das 1974 in Alaska durchgeführte Mini-Grant Program dar, in dessen Zuge 172 indianische Dörfer Zuschüsse von $5000 bis $10.000 erhielten, die sie nach eigenem Ermessen zur Bekämpfung des Alkoholkonsums einsetzen konnten. Die überwiegende Mehrheit der Gemeinden konnte im Anschluß von deutlichen Verbesserungen der Lage berichten (siehe Baker 201f / Snake x).

Alle Überlegungen über Interventionen sind allerdings müßig, wenn die Möglichkeiten der Finanzierung unzureichend sind. Daß dies in der Vergangenheit so war, beweist die lange Kette der Institutionen, die sich der Alkoholthematik und damit der Finanzierung nur kurzfristig annahmen (siehe Leland 95ff / Levy & Kunitz 2 / Baker 195 / May, "Prevention Programs" 190 / Mail & MacDonald 20f / Stratton 46 / Snake 11). May spricht von "a short but highly political and frustrating history" ("Prevention Programs" 190). Das Office of Economic Opportunity (OEO), welches das bis dahin bestehende Monopol des Bureau of Indian Affairs (BIA) durchbrach, machte in den späten 1960er Jahren den Anfang, bis es die Verantwortung in den frühen 1970er Jahren an das National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism (NIAAA) abtrat. In den späten 1970er Jahren schließlich nahm sich der Indian Health Service (IHS) des Public Health Service (PHS) der Alkoholproblematik an. Daß die Transfers nicht reibungslos vonstatten gingen, sondern von verwirrenden Kompetenzüberschneidungen geprägt waren, belegt der Aufsatz von Joy Leland. Außerdem ging man im Zuge der Transfers zunehmend dazu über, die Finanzierung auf die Indianer abzuwälzen. "We helped you get started, now why can't you help yourselves, the way white folks do", lautete der unterschwellige Vorwurf (Leland 96; siehe auch Beauvais 256f). Eine von der Navajo Health Authority durchgeführte Beurteilung von neun Alkoholprogrammen für Navajo verwies auf eklatante Mängel, die sich überwiegend auf fehlende finanzielle Ressourcen zurückführen ließen: Das Personal, das größtenteils aus unqualifizierten ehemaligen Alkoholikern bestand, wechselte häufig durch, da die Bezahlung äußerst dürftig war und sich keine Karriereperspektiven boten. Da es keine Möglichkeiten der Unterbringung von Patienten gab, erfolgte die Behandlung ausschließlich ambulant. Darüber hinaus waren die Instrumentarien veraltet. Die Programme richteten sich außerdem nur an einzelne erwachsene Klienten, die über genug Motivation verfügten, um sich selbst einzuliefern. Zu guter Letzt ergaben sich auch keine Möglichkeiten, die Schicksale entlassener Patienten zu Forschungszwecken weiterzuverfolgen (siehe May, "Prevention Programs" 190 / Bachman 132f). Als Antwort auf den zunehmenden Druck, den der Kongreß auf die Programmkoordinatoren ausübte, wurde unter dem IHS schließlich eine vereinheitlichte Evaluationsbewegung ins Leben gerufen, mit deren Hilfe man bessere Einsicht in die Fortschritte und Unzulänglichkeiten der Programme gewinnen wollte. Die Beurteilungen, deren Kriterien die aufrecht erhaltene Abstinenz und Erwerbstätigkeit sowie ein Ausbleiben von Verhaftungen der Klienten waren, schienen durchwachsen. Aber wie Leland zu bedenken gibt: "[A] 300-year-old problem cannot be solved in [a couple of] years" (97; siehe auch Mail & MacDonald xi / 21 / May, "Prevention Programs" 190). Alkoholprogramme stellen heute überragende 70 Prozent aller Gesundheitsprogramme für Indianer (siehe Lamarine 152). Es gibt gegenwärtig etwa 200 ländliche und städtische Initiativen für Indianer mit einem Gesamtbudget von mehr als $15 Millionen (siehe May, "Prevention Programs" 190 / Baker 201 / Leland 96). Der bereits 1921 verabschiedete Snyder Act forderte, daß Land und Stadt gleichberechtigt behandelt würden. Dennoch besteht immer noch eine de facto Benachteiligung der Städte gegenüber den Reservaten (siehe Leland 96ff / Snake 11).

1.Religion, Prävention und Rehabilitation: Die Propheten, das Christentum und die Native American Church

Schon früh erkannten Führungspersönlichkeiten unter den Indianern die Gefahren, die Alkoholkonsum für die indianische Bevölkerung barg, und machten ihre Zeitgenossen darauf aufmerksam. Oft waren sie selbst den Spirituosen zum Opfer gefallen, wurden aber durch spirituelle Erfahrungen geläutert. Im Anschluß an ihre Läuterung predigten sie eine neue Religion. Die sogenannten Propheten schlugen dabei zwei grundlegend verschiedene Richtungen ein. Die einen stellten ein harmonisches Zusammenleben mit den Weißen in den Mittelpunkt, verbannten jedoch Alkohol und andere schädliche Einflüsse der Europäer. Die anderen, die Underhill "hostile prophets" nennt, verwarfen alles Europäische, ob nun schädlich oder nicht, und predigten in nativistischer Manier eine vollkommene Rückkehr zu den indianischen Traditionen (siehe Seiten 255ff).

Einer der ersten der neuen Religionsbegründer war der Delaware Prophet Neolin, der Mitte des 18. Jahrhunderts lebte. Bei ihm überwogen noch die Ablehnung alles Europäischen - Alkohol inklusive - und eine Rückbesinnung auf die indianischen Wurzeln (siehe Gill 145). Der Seneca Prophet Handsome Lake, der Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts lebte und praktizierte, war der weißen Welt gegenüber bereits weitaus aufgeschlossener als der nativistische Neolin. Er predigte einen Verzicht sowohl auf indianische als auch auf europäische Elemente, die einem Überleben der indianischen Ethnie entgegenstanden. Sein Schlüsselerlebnis drehte sich um seine frühe Vorliebe für alkoholische Getränke. In The Revelation of Handsome Lake gibt ein Zeitgenosse, der Seneca Edward Cornplanter, die Ereignisse wieder, die zu Handsome Lakes Läuterung führten: Er berichtet vom Pelzhandel und vom anschießenden Trinkgelage der Seneca:

Now the drunken men run yelling through the village and there is no one there except the drunken men. Now they are beastlike and run about without clothing and all have weapons to injure those whom they meet. Now there are no doors left in the houses for they have all been kicked off. So, also, there are no fires in the village and have not been for many days. Now the men full of strong drink have trodden in the fireplaces. They alone track there and there are no fires and their footprints are in all the fireplaces. Now the dogs yelp and cry in all the houses for they are hungry.

Cornplanter widmet sich im Anschluß der schweren, durch Alkohol verursachten Erkrankung Handsome Lakes: "[I]t comes to his mind that perchance evil has arisen because of strong drink", folgert er. Aber Handsome Lake kann nicht vom Alkohol ablassen. Spirituosen, so heißt es, führen schließlich zu seinem Tod. Er erhält jedoch eine zweite Chance und in einer Vision einen Auftrag (zitiert in Gill 145ff; siehe auch Wax 154 / Hanson 5f / Mail & MacDonald 19). Dies ist der Beginn der Gaiwiio Religion, der Lehre, die Beauvais als "the most notable early attempt to prevent alcohol problems through the use of cultural practices" bezeichnet (257f). So enthält denn auch die erste, im Jahr 1833 schriftlich niedergelegte Verfassung der Seneca eine Klausel, die Alkoholkonsum strengstens untersagt (siehe Weibel-Orlando 295). Ebenfalls Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts taten es ihm der Shawnee Prophet Tenskwatawa und sein wesentlich berühmterer Bruder Tecumseh gleich, wenn auch sie wieder mehr Distanz zu den Weißen predigten. Tenskwatawa war ebenfalls ein Trunkenbold gewesen, bevor er 1805 in einem Traum auf den Great Spirit traf und zu einer tugendhafteren Lebensweise aufgerufen wurde: "[H]e must leave of[f] drinking, and lead a new life, and also instruct all the red people the proper way of living". Er stellte eine Reihe von Gesetzen auf, die seinen Zeitgenossen als Richtlinien dienen sollten. An erster Stelle stand: "Spirituous liquor was not to be tasted by any Indians on any account whatever". Im Falle der Nichteinhaltung drohte die Todesstrafe (Thomas Forsyth zitiert in Gill 150ff; siehe auch Lutz 387ff / King 184 / Debo 106 / Waldman 115). In den späten 1880er Jahren gab es einen weiteren indianisch-religiösen Versuch, dem Alkoholmißbrauch unter Indianern Einhalt zu gebieten. Diesmal ging die treibende Kraft von dem Paiute Propheten Wovoka aus, der die Ghost Dance Religion zur Wiederherstellung der indianischen Obermacht auf den Plains begründete. Diese Bewegung war allerdings nur von kurzer Dauer, denn bald untersagten und unterdrückten weiße Agenten und Soldaten, die von einer drohenden Gefahr ausgingen, die Ausübung der Religion (siehe Gill 157ff / Waldman 158).

"Religion is a factor often ignored in treatment", schreibt May in seinem Aufsatz über Präventionsmaßnahmen ("Prevention Programs" 193). Und tatsächlich scheint auch die christliche Religion, besonders in ihrer fundamentalen Ausprägung, einen Beitrag zum Abbau des Alkoholproblems zu leisten. Missionare begannen früh den Kampf gegen den "demon rum" und drohten mit harten weltlichen und kirchlichen Sanktionen gegen potentielle Alkoholsünder. Konvertierte mußten einen Eid der Abstinenz leisten, und, falls sie der Intoxikation überführt wurden, drohten ihnen Stockschläge oder die sofortige Exkommunikation (siehe Weibel-Orlando 317 / Dorris 95 / Mail & MacDonald 19 / Westermeyer 110 / Dailey 117). Allerdings - wie Lamarine zu bedenken gibt - liefen Landeroberung und Missionarsarbeit oft Hand in Hand, und so mußte die christliche Religion einiges an Glaubwürdigkeit einbüßen. Ihr Einfluß war deshalb nur von kurzer Dauer, denn der anfängliche Enthusiasmus der Indianer wich bald einer allgemeinen Desillusionierung und Ablehnung der kirchlichen Lehren (siehe Lamarine 151f).

Einen wahrscheinlich noch wichtigeren Beitrag als die christlichen Religionen leistet die Native American Church oder Peyote Religion. Sie stellt eine pan-indianische Bewegung dar, die keine Stammesgrenzen kennt und weit verbreitet ist. Dabei schlägt sie eine Brücke zwischen christlichen und traditionell indianischen Elementen. Besonders gegenwärtige Probleme werden angesprochen. Ein Hauptaugenmerk gilt dabei der Meidung von Alkohol. Gottesdienste werden in einem Tepee abgehalten, durch Musik begleitet und von dem sogenannten "road chief", einem angesehenen Mitglied der indianischen Gemeinde, geleitet. Bei Peyote handelt es sich um einen in Südtexas und Mexiko anzufindenden Kaktus (Lophophora williamsii), durch dessen Verzehr LSD-ähnliche Halluzinationen hervorgerufen werden. Indianer nutzten Peyote wahrscheinlich schon seit Jahrhunderten, aber erst durch die Native American Church erlangte der Kult zu Beginn des 20. Jahrhunderts offizielle Anerkennung. Es heißt, daß eine gleichzeitige Aufnahme von Alkohol und Peyote unverträglich sei, was den Einsatz von Peyote zur Bekämpfung des Alkoholkonsums erklärt (siehe Gill 162ff / Driver 524f / Lindig & Münzel 179f). Bernard Albaugh und Philip Anderson beschreiben in einem Aufsatz den konkreten Einsatz der Native American Church im Rahmen eines aus Arbeits- und Kunsthandwerkstherapie bestehenden Rehabilitationsprogramms, der "C and A Lodge". Es wird seit 1972 von und für Cheyenne und Arapaho in Oklahoma betrieben. Die Autoren berichten von visionären Schlüsselerlebnissen der Gottesdienstteilnehmer, die diese zur sofortigen Aufgabe des Alkoholkonsums bewegten (siehe Seiten 1247ff).

2.Prohibition: Diskriminierung oder Schutz?

Paternalismus ist für viele Indianer ein Reizwort. Über Jahrhunderte hinweg wurden sie als Kinder behandelt, die man vor ihren eigenen Schwächen und äußeren Versuchungen beschützen mußte. Die Regierung übernahm dabei die Rolle des großen Vaters, wie sich aus der folgenden Bemerkung des Senators und Temperance-Anhängers Theodore Frelinghuysens heraushören läßt: "[We] shall consider them as our children, and always hold them firmly by the hand" (zitiert in Kilpatrick 6). Besonders Jefferson gefiel sich in der Rolle des wohlwollenden Patriarchen (siehe Hermann 9). Das Supreme Court unter John Marshall besiegelte das Schicksal der Indianer für mehr als ein weiteres Jahrhundert, als es das berüchtigte guardian-ward-Verhältnis zwischen Regierung und Indianern ins Leben rief (siehe Kilpatrick 6). Im Zuge der "Zivilisierung" der Indianer stellte sich aber bald die Frage, ob ein Festhalten an den alten Rollenschemata und damit an der Vater-Kind-Rhetorik noch zeitgemäß war. Paternalismus im weiteren und Prohibition im engeren Sinne wurden zunehmend hinterfragt. 1953 kam es dann aber lediglich zu einer Übertragung der Vaterrolle von der Regierung auf die tribal councils. Die überwiegende Mehrheit der Reservate hielt an der Prohibition fest. Weibel-Orlando behauptet, daß die Legalisierung immer noch einem politischen Selbstmord gleichkäme (siehe Seiten 296f). Dabei herrscht die durch mehrere Studien bestätigte Meinung vor, daß Alkoholverbote kaum oder keine Wirkung zeigen (siehe Weibel-Orlando 295f / 315ff / Baker 197 / Levy & Kunitz 191f). Die Prohibition hielt und hält Indianer nicht vom Erwerb und Konsum alkoholischer Getränke ab. Im Gegenteil: Man vermutet, daß die Prohibition mehr Probleme schafft, als sie beseitigt (siehe Beauvais 258f / Weibel-Orlando 295f). May schließt eine Legalisierung sogar in seine Forderungen nach verstärkten primären Präventionsmaßnahmen mit ein. In einer Studie im Jahr 1976, in der er vier "trockene" und drei "nasse" Reservate in Montana und Wyoming miteinander verglich, konnte er auf lange Sicht ein weniger problematisches Trinkverhalten hinsichtlich der Mortalitätsrate (-8,8%) und Verhaftungen für letztere feststellen ("Prevention Programs" 190ff). Dieses Phänomen hat mehrere Gründe: Durch die ständig gegebene Gefahr der Entdeckung, Verhaftung und Konfiszierung der Alkoholvorräte wurden Indianer dazu angehalten, Alkohol extrem schnell zu konsumieren, um so das corpus delicti zu beseitigen. Gulping oder blitz drinking, die verhaltenstechnischen Grundlagen des "drunken Indian"-Stereotyps, lassen sich aus dieser Tatsache erklären. "[D]iscriminatory prohibition [...] prevented Native Americans from learning 'the proper, everday, family, self-regulated use of alcohol' [...] and encouraged the development and subsequent institutionalization of a dangerous drinking style" (Mail & MacDonald 28 / 36; siehe auch Dorris 90 / Wissler 294 / Weibel-Orlando 295f / Baker 196f / 202 / Beauvais 254f). Ein weiteres kontraproduktives Element der Prohibition ist, daß Indianer aus "trockenen" Reservaten weite Strecken zurücklegen müssen, um an Alkoholquellen zu gelangen. Da der Alkoholkonsum das erklärte Ziel der Ausflüge in die nahegelegenen Städte ist, darf angenommen werden, daß die Rückfahrt oder die Rückkehr zu Fuß oft im berauschten Zustand erfolgt. Die verheerenden Folgen sind im Kapitel "Begleiterscheinungen" erläutert worden (siehe Young 66 / Beauvais 258f / Weibel-Orlando 317f / Levy & Kunitz 191f). Es gehört auch zu den negativen Konsequenzen des Alkoholverbots, daß sich in border towns wie Gallup, New Mexico, eine Subkultur aus Bars und Schnapsläden herausgebildet hat, welche die Alkoholbedürfnisse der Indianer befriedigt und sich an ihnen bereichert. "The alcoholics are the Indians that people notice, because so many are downtown, hanging around the bars", so erklärt Leonard Peltier die durch diesen Umstand begünstigte Entstehung des Stereotyps vom betrunkenen Indianer (zitiert in Matthiessen 426).92 Es ist leicht einsehbar, daß Bar- und Ladenbesitzer sich vehement gegen eine Legalisierung sträuben. Wenn sich der Alkoholkonsum ohnehin nicht verhindern läßt, so sollten die Gewinne aus dem Verkauf von Spirituosen doch wenigstens direkt in die Reservate fließen. Von tribal councils betriebene Etablissements könnten darüber hinaus genau da zusätzliche Arbeitsplätze schaffen, wo sie dringend benötigt werden, nämlich in den Reservaten. Desweiteren könnten sie im Rahmen der Öffnungszeiten Zeit, Ort und Menge des Konsums bestimmen (siehe Weibel-Orlando 301f / Hamer & Steinbring 310 / Levy & Kunitz 191f / Baker 202). Zudem würde durch eine Aufhebung des Verbots dem durch die Prohibition begünstigten Schmuggel Einhalt geboten (siehe Hamer & Steinbring 308ff / Baker 202 / Matthiessen 427 / Weibel-Orlando 301f). Zu guter Letzt muß betont werden, daß es sich bei der einseitig auf Indianer ausgerichteten Prohibition um eine Form der Rassendiskriminierung handelt (siehe Weibel-Orlando 295f). May, Hamer und Steinbring geben daher policies den Vorrang vor laws. Richtlinien hinsichtlich des Alkoholkonsums sollten per Gemeinschaftskonsens gefunden und nicht von oben aufoktroyiert werden (siehe Hamer & Steinbring 308ff / May, "Prevention Programs" 191).

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