Deutsch-Amerikanischer Almanach

Nina Gartz
Indianer und Alkoholmißbrauch

c.Die Boarding School-Erfahrung als indianische Captivity Narrative

"If Americans were really interested in 'captivity narratives' [...] they should check out stories about the boarding schools", schlägt Krupat vor. "[T]hose stories would make the tales of Mary Rowlandson and Hannah Dustin literally pale" (96). Und tatsächlich scheinen die boarding school-Erfahrungen der Indianer viel mit den Gefangenschaftserzählungen der Weißen gemein zu haben. Denn Gefangene waren auch die Kinder, die im Zuge der Assimilationsbestrebungen oft unfreiwillig aus ihren Familien in den Reservaten entfernt und in internatsähnlichen, vom Bureau of Indian Affairs betriebenen Schulen untergebracht wurden. Wenn Rowlandson und die anderen puritanischen Frauen von durchlittenen Spießrutenläufen berichten, so finden diese ihre Entsprechungen in den vom Schulpersonal praktizierten "degradation ceremonies" (Levy & Kunitz 120f): Den jungen Indianern wurden die langen Haare abgeschnitten, man wusch sie demonstrativ, verpaßte ihnen westliche Kleidung und verbot ihnen unter Androhung von Strafe den Gebrauch ihrer eigenen Sprache. Ziel war die Herabwürdigung und vollkommene Auslöschung des kulturellen Hintergrunds der indianischen Kinder. Es ist anzunehmen, daß diese Erfahrungen in manchen schwere Traumata hervorriefen, die bisweilen im höheren Alter zum Alkoholmißbrauch führten.

Waren zu Beginn des Ersten Weltkriegs negative Darstellungen der Native Americans bereits die cineastische Norm, so widmeten sich die frühen Stummfilme dem beliebten Thema "Indianer" noch überraschend einfühlsam. Auch die Leiden der Ureinwohner in den boarding schools wurden zum Gegenstand der Werke der ersten Generation von Filmemachern. Curse of the Red Man von 1911 und Last of the Line / Pride of the Race von 1914 (siehe Hilger, The American Indian in Film 18 / 25 / Hilger, From Savage to Nobleman 39 / Peipp & Springer 30 / 288)108 weisen beinahe identische Handlungsmuster auf: Ein junger Native American besucht eine weiße Schule, kommt dort sowohl mit Bildung als auch mit Spirituosen in Berührung und kehrt schließlich als Alkoholiker in seinen Stamm zurück. In Last of the Line ist der Plot noch etwas erweitert: Häuptling Gray Otter schickt seinen Sohn auf die Schule der Weißen, damit dieser sich das Wissen der Eroberer aneignet und seinen Stamm durch die Zeiten des Umbruchs geleiten kann. Anstatt einer Führungspersönlichkeit aber erhält er einen desillusionierten Alkoholiker zurück, dem jeglicher Bezug zu seinen kulturellen Wurzeln abhanden gekommen ist.109 Gemeinsam mit anderen Abtrünnigen überfällt er schließlich einen Geldtransport der Armee und kündigt damit den von seinem Vater unterzeichneten Friedensvertrag mit den Weißen. Um den Stamm vor einer Eskalation zu bewahren, sieht sich Gray Otter gezwungen, seinen eigenen Sohn zu erschießen. Allerdings rettet er das Ansehen seines Sohnes, indem er vorgibt, dieser sei bei der Verteidigung des Transports zu Tode gekommen. So erhält der vermeintliche Held ein Begräbnis mit militärischen Ehren. Wie Georgi am Beispiel des 1934 veröffentlichten Romans Sundown von John J. Mathews demonstriert, wurden die boarding school-Erfahrungen auch von Buchautoren thematisiert. "Die Bildung in der weißen Schule steht im Mittelpunkt dieser frühen Romane" (93ff). In Sundown greift der Halbblut-Protagonist Chal aufgrund seines durch die Internatserziehung hervorgerufenen Identitätskonfliktes - er fühlt sich zwischen seinem traditionellen Erbe und der weißen Welt hin- und hergerissen - zur Flasche.

d.Biographien gefallener Helden

Auch die indianische Bevölkerung blickt mit Stolz auf ihre Sportgrößen und Kriegshelden. Jedoch scheinen diese nicht in letzter Konsequenz Übermenschen zu sein. Immer zerbrechen sie am eigenen Erfolg. Das wollen uns zumindest die Filmemacher weismachen, welche die Figuren nach dem Kriterium des auf den Triumph folgenden Scheiterns auszuwählen scheinen. So fallen zum Beispiel die Filme Jim Thorpe - All American von 1951 und The Outsider von 1961 in dieses selektive Strickmuster. Der erstgenannte Film beschäftigt sich mit dem Schicksal des von 1889 bis 1953 lebenden Sauk Jim Thorpe (gespielt von Burt Lancaster), der bei den Olympischen Spielen 1912 in Stockholm sowohl den Penthalon als auch den Decathlon gewann. Jedoch wurden dem Ausnahmeathleten im Anschluß an die Sportveranstaltung beide Goldmedaillen aberkannt. Er versuchte sich noch an einer drittklassigen Filmkarriere, bevor er - nach dem Tod seines Sohnes und der Scheidung von seiner weißen Frau - schließlich als Alkoholiker bei der Müllabfuhr landete. Allerdings fand er mit fremder Hilfe wieder in ein produktives Leben als Sporttrainer zurück.110

Eine weniger glückliche Wende nahm das Leben Ira Hayes (gespielt von Tony Curtis111), dem sich der Film The Outsider widmet. Der Pima zählte 1945 zu den sechs amerikanischen Marinesoldaten, die am Mount Suribachi auf der Pazifikinsel Iwo Jima als Zeichen des alliierten Triumphs die amerikanische Flagge hißten. Drei der sechs Amerikaner ließen dafür ihr Leben; Hayes, so suggeriert der Film, gehörte zu den weniger glücklichen Kameraden, die überlebten. Denn ein gewisser Joe Rosenthal hatte die Ereignisse am Berg mit seiner Kamera festgehalten. Die daraus resultierenden Bilder sollten fortan die Geschichtsbücher und Briefmarken des Landes zieren. Mit der in Gang gesetzten PR-Maschinerie, die den Indianer zum Kriegshelden heraufstilisierte, und mit der ablehnenden Haltung seines eigenen Stammes kam Hayes jedoch nur schwer zurecht. "Sometimes I wish that guy had never made that picture", so wird er zitiert. Zehn Jahre später fand man den 33-jährigen Alkoholiker tot in der Wüste auf, wo er sich ungeschützt der nächtlichen Kälte ausgesetzt hatte. Hagan weitet den Verfall Hayes' sogar auf die gesamte, 25.000 Mann starke und teils hochdekorierte indianische Streitkraft aus, indem er schreibt: "But for every Hayes whose chronic alcoholism attracted national attention, there are hundreds who degenerate with less publicity" (160).

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