Nina Gartz
Indianer und Alkoholmißbrauch
C.Die indianische Perspektive
Im Jahr 1899 veröffentlichte der Potawatomi Chief Simon Pokagon seinen Roman Queen of the Woods, wohl eines der ersten von einem indianischen Autor verfaßten Bücher, das zudem noch indianisches Leben zu seinem Gegenstand macht.120 Während sich der erste Teil in einem romantischen Ton dem Kontrast zwischen natürlicher indianischer und künstlicher weißer Welt widmet, gerät der zweite Teil zur Tirade gegen den Alkohol, der die Familie der Protagonisten zerstört: "All this trouble weighing down my soul, has fallen upon me by reason of that curse (liquor) dealt out to our race by the hands of white men". Selbst in diesem ersten Gehversuch indianischer Autorenschaft kam man also um das Thema "Indianer und Alkohol" nicht herum. "Die Beschreibung des betrunkenen Indianers bleibt auch in späteren indianischen Romanen ein wichtiges Thema", schreibt Georgi (91f). Dieser Abschnitt wird sich mit der Frage beschäftigen, ob und - wenn ja - wie es indianischen Schriftstellern gelang, das mancherorts existierende Alkoholproblem auf nicht stereotype Weise wiederzugeben.
1.Fortschritt-Traditions-Dichotomie bei Momaday, Silko und Welch
N. Scott Momadays Roman House Made of Dawn (1968) stellte in vielerlei Hinsicht einen Durchbruch für die indianische Literaturszene dar. Endlich nahmen Verleger, Leser und Kritiker gleichermaßen Notiz von der neuen Generation indianischer Autoren. House Made of Dawn wurde zum verfilmten und mit einem Pulitzer Prize belohnten Bestseller und läutete damit die sogenannte Native American Renaissance ein. Leslie Marmon Silkos Ceremony (1977) und James Welchs Winter in the Blood (1974) folgten im Kielwasser dieses Erfolges. Heute werden die Namen Momaday, Silko und Welch oft in einem Atemzug genannt. Und das Dreigespann widmete sich auch der Alkoholthematik, mal ernsthaft wie bei Momaday und Silko, mal humorvoll, aber deshalb nicht weniger ernst zu nehmen, wie bei Welch. Gingen in den Werken weißer Autoren und Filmemacher die Alkohol konsumierenden Indianer zumeist in letzter Konsequenz am Alkohol zugrunde, so vollziehen sie in den Romanen der drei Native Americans eine kreisförmige Bewegung von der traditionellen Gemeinschaft in den Reservaten in die fortschrittliche, aber gefährliche Außenwelt und wieder zurück in den Schoß der Gemeinschaft; von der Ordnung ins Chaos und zurück in die Ordnung. Darin sieht Owens den entscheidenden Unterschied: "[the] Indian protagonist's ability to recover the center" (58). Die Außenwelt, das Chaos wird durch die Umsiedlung in die Großstadt, durch die Teilnahme am Zweiten Weltkrieg oder durch den Trip in die nahe border town repräsentiert. Der moderne Protagonist - Abel in House, Tayo in Ceremony und ein namenloser junger Mann in Winter - wird kurzzeitig zum entwurzelten Stellvertreter einer indianischen "lost generation" inmitten zweier Kulturen, der sich auf die Suche nach der eigenen Identität, nach dem "center" begibt, das er oft mit Hilfe eines weisen Lehrers, eines Großvaters oder Schamanen, wiedererlangen kann.
Als Abel, ein Halbblut-Indianer, nach seinem Einsatz im Zweiten Weltkrieg wieder zum Jemez Pueblo in New Mexico zurückkehrt, ist er sturzbetrunken. Er erkennt den Großvater, der ihn freudig an der Bushaltestelle erwartet, im Rausch nicht wieder. "Tears came to his eyes, and he knew only that he must laugh and turn away from the faces in the windows of the bus", so wird die Reaktion des geschockten Großvaters geschildert (13). Abel gibt sich in der Folgezeit redliche Mühe, sich wieder in den Lebensrhythmus des Reservats einzupendeln, aber der Zeitpunkt, den Kreis zu vollenden, ist für ihn noch nicht gekommen. Aus Frustration über seine Unfähigkeit, sich in die Gemeinschaft einzugliedern, begeht er einen Mord, verbringt einige Zeit im Gefängnis, um anschließend eine Bewährungsstrafe im Asphaltdschungel Los Angeles zu verbüßen. Dort setzt sich der nach dem Krieg begonnene Verfall Abels fort. Der junge Indianer manövriert sich zunehmend ins soziale Abseits. Er erliegt mehr und mehr dem Alkohol, verliert seinen Fließbandjob, erfährt zahlreiche Demütigungen121 und distanziert sich von seinem neu gewonnen Freund, dem Navajo Benally, der sich mit dem Leben in der Großstadt arrangiert hat und Abels Interesse an den "old-timers" im Reservat nicht nachvollziehen kann. "[Y]ou know that if you went home there would be nothing there, just the empty land and a lot of old people, going noplace and dying off" (145). Abel aber kehrt schließlich zurück, an das Totenbett seines Großvaters. In einer Art Läuterungsritual wacht er an der Seite seines einzigen Verwandten122, lauscht dessen Erzählungen, denn "they could be lost forever as easily as one generation is lost to the next" (178) und bricht den Alkoholkonsum unter großen Entzugsschmerzen ab. Im Morgengrauen vollendet er durch seinen rituellen Selbstmord als "dawn runner"123 den Läuterungsprozeß und schließt damit den Kreis. Der Prolog des Romans wird im Epilog vervollständigt.124
Ceremony berichtet vom Schicksal indianischer Weltkriegsveteranen. Zu Kriegsbeginn umwarb man sie, in ihren dekorierten und dekorativen Uniformen schmeichelte man ihnen, weiße Frauen schenkten ihnen Aufmerksamkeit, in Großstadtkneipen wurden sie unterschiedslos bedient und nach Kriegsende warf man sie wieder weg. Alles, was die indianischen G.I.s noch an ihren Statusgewinn erinnert, sind die monatlich eintreffenden Kriegspensionen. Die Schecks werden zum Ankauf von Alkohol in den nahen border towns verwendet, um die Respektseinbuße vergessen zu machen.125 "They spent all their checks trying to get back the good times [...] to bring back that old feeling, that feeling they belonged to America the way they felt during the war" (42f). Im Rausch schwelgen die jungen Männer in Erinnerungen an vermeintlich glorreiche Kriegszeiten, an ihre rassische Überlegenheit gegenüber den Japanern im Dschungel der Pazifikinseln. Tayo allerdings hat tiefgreifendere psychische Probleme als seine Kriegskameraden. Er leidet unter dem Verlust seines Cousins Rocky und seines Onkels Josiah, unter der Dürre im heimischen Laguna Pueblo sowie unter der herabwürdigenden Behandlung durch seine christianisierte Tante Thelma, die das uneheliche Halbblut Tayo einst nach einer Kindheit in der Gosse Gallups an der Seite seiner trinkenden und promiskuösen Mutter einzig aus christlichem Pflichtgefühl bei sich aufnahm.126 Er wird von irrationalen Schuldgefühlen geplagt, gibt sich jedoch nicht der Illusion hin, Alkohol könne seine Probleme lösen. Dann und wann erliegt er lediglich dem durch die Kameraden ausgeübten peer pressure: "Belonging was drinking" (43). "Drink it! Drink it! You'll get better!", so animiert ihn sein Freund Harley (156). Aber auch dem bleibt es nicht verborgen, daß Tayo sich graduell von der Clique distanziert. Bisweilen zerstört er den jungen Männern die Machtillusionen, was ihm deren Ressentiment einbringt, und sobald er die Gruppe verläßt, erbricht er das zuvor Getrunkene. Er wendet sich, nachdem westliche und vollblütig indianische Interventionsmethoden nicht fruchten, an den Halbblut-Schamanen Betonie, der für Tayo eine Vision entwirft, die den Heilungsprozeß einläutet. Für sein Umfeld aber scheint Tayos Hingabe an indianische Visionen und Zeremonien devianter als die Hingabe seiner Freunde an den Alkoholrausch: "[E]veryone would understand that: riding around, drinking with his buddies. They wouldn't be suspicious then; they wouldn't think he was crazy. He'd just be another drunk Indian, that's all" (241).127 War noch der Jurist Madison Grant in der in seinem Buch The Passing of the Great Race (1916) vorgestellten Degenerationstheorie von der besonderen Dekadenz des Halbbluts ausgegangen (siehe Eder 91), so stellt die Hybridität in Ceremony eine Quelle der kreativen Kraft dar: "Silko not only celebrates mixed and relational identities but [...] takes her mixedblood protagonist back to the core of his Indian world" (Owens 35).128 Während die einstigen Kameraden, allesamt vollblütige Indianer, keinen Zugang mehr zur Pueblokultur finden, ihre Seelen an den illegalen Uranabbau verkaufen, in Autowracks und durch fremde Gewalteinwirkung sterben oder vom Stamm verbannt werden, wird Tayo zum wertvollen Mitglied seiner Ersatzfamilie und der indianischen Gemeinschaft. Auch hier schließt sich der Kreis.
Der namenlose Protagonist in Winter in the Blood verbringt eine vergleichsweise idyllische Kindheit im Reservat der Blackfoot - allerdings nur bis zu dem Augenblick, da er seinen Vater First Raise erfroren auffindet. Der hatte wohl auf dem Rückweg aus der nahen Stadt aufgrund der hohen Alkoholkonzentration in seinem Blut die Kälte unterschätzt. Als auch noch sein Bruder Mose beim Versuch der Überquerung eines Highways überfahren wird, beginnt für ihn der durch irrationale Schuldgefühle hervorgerufene Verfall. Vom Rest der Familie distanziert er sich im Laufe der Jahre zusehends. Er pendelt identitäts- und heimatlos als eine Art moderner go-between zwischen der indianischen und der weißen Welt hin und her, "always in transit", wie sein verstorbener Vater (21). Für jeweils mehrere Tage oder gar Wochen begibt er sich in die nahen border towns, trinkt sich um den Verstand, hat sexuellen Verkehr mit etlichen weißen Frauen, gewaltsame Auseinandersetzungen mit Nebenbuhlern und pflegt den nur scheinbar egalitären Umgang mit weißen Zechkumpanen. Zu Hause lebt ihm der Stiefvater Lame Bull keinen besseren Lebensstil vor. Er eifert zwar der Trinketikette der Weißen nach, spielt sich als Weinkenner auf, weiß aber nicht einmal, wie man "Vin Rosé" zu artikulieren hat, geschweige denn, daß das Getränk aus Trauben und nicht aus Rosen gewonnen wird (135 / 150). Geschmack spielt ohnehin nur eine untergeordnete Rolle. "[S]omehow their lives seemed more orderly, they drank a lot but left early, and they would be back at work in the morning", so kommentiert der Protagonist das von wenigstens einem Minimum an Selbstdisziplin geprägte und damit von der indianischen Norm abweichende Trinkverhalten der Weißen (41). Einzig seine christianisierte Mutter Teresa sowie die apathische, in einem Schaukelstuhl dahinvegetierende Großmutter enthalten sich weitestgehend. Ironischerweise fühlt sich die gesamte Familie des Protagonisten über andere Indianer, die nur unwesentlich mehr dem Alkohol sowie anderen Verlockungen der weißen Welt zugetan sind, erhaben. Alte Stammesfehden werden in diesem Zusammenhang aufrechterhalten: "Crees drank too much", lautet das Pauschalurteil über den alten Erzfeind der Blackfoot (33). Weniger betuchte, zumeist städtische und assimilierte Native Americans werden als "damn Indians" tituliert, als Taugenichtse beschimpft (20 / 77 / 169). "Welch presents the two things that most threaten Indian cultural survival: drinking and becoming like white people", schreibt Kate Vangen (197). Welch setzt sich jedoch auf humorvolle Weise mit diesen Bedrohungen auseinander, wie folgende Szene beweist (33): Die Familie der Hauptfigur gibt sich mit Bekannten dem Alkoholgenuß hin. Sie verschütten etwas Wein, und es bilden sich Pfützen am Fußboden, aus denen sich Fliegen bedienen. Die Insekten aber verkraften den toxischen Schock nicht und stürzen besinnungslos zu Boden. Im selben Augenblick kippt auch Lame Bull von seinem Stuhl. Impliziert wird offenbar, daß Indianer wie die Fliegen sterben.129 Allerdings kokettiert der Text mit solch stereotypen Vorstellungen und unterminiert sie somit. "Making Faces" nennt Vangen dieses Spiel mit der Erwartungshaltung der weißen Leserschaft. Der Protagonist setzt sich schließlich über die Vorurteile hinweg und versöhnt sich mit seiner tragischen Vergangenheit, nicht zuletzt dank seines totgeglaubten Großvaters Yellow Calf, der fernab vom Agrarbetrieb Lame Bulls, in "a world as clean as the rustling willows", ein naturverbundenes Leben führt (151). Hatte die Hauptfigur eine Woche zuvor noch behauptet "Coming home was not easy anymore" (2), so sehnt sie sich jetzt nach dem Reservat, nach der Oase der Ruhe inmitten der border towns. "I had enough of Havre, enough of town [...] It was good to be home", so kommentiert er seinen Überdruß angesichts der Stadt (125 / 133). In einer Art Reinigungsritual verbrennt er seine mit den Gerüchen der Stadt behaftete Kleidung und nimmt ein Bad. Er befreit sich von dem unsichtbaren Schmutz "that coats a man who has been to town" und gibt der während seiner Abwesenheit verstorbenen Großmutter das letzte Geleit (132). Er hat seinen Platz in der Gesellschaft gefunden. Auch hier ist die zirkulare Bewegung also vollendet. "There's nothing wrong with being an Indian", lautet die Botschaft der Mutter an ihren Sohn und die des Textes an seine Leser (20).
2.Erdrich und Alexie: Eine Fortführung des Stereotyps?
Während den drei bereits besprochenen indianischen Autoren, Momaday, Silko und Welch, die als literarische Lichtgestalten gehandelt werden, immer eine künstlerische Integrität bescheinigt wird, müssen sich Autoren wie Louise Erdrich und Sherman Alexie oft den Vorwurf der Kommerzialisierung, der Anpassung an weiße Leserwünsche gefallen lassen. Erdrich und Alexie, so heißt es, zeigten nur einen Ausschnitt der indianischen Existenz, nur den Verfall, nicht aber die Kohärenz. Durch diese Unterlassung führten sie die in der weißen Gesellschaft begründeten Stereotypen fort, "giving the commercial market and reader exactly what they want and expect in the form of stereotype and cliché" (Owens 76). Der selbst zu Anteilen indianische Kritiker Owens bemängelt vor allen Dingen die seiner Ansicht nach übertriebene Darstellung des Alkoholproblems in der indianischen Gesellschaft: "[S]uch portraits [...] conform readily to Euroamerican readers' expectations that American Indians are all doomed by firewater" (72).
Allerdings treten in Erdrichs Roman Tracks (1988), der den Überlebenskampf einer Gruppe von Chippewa in North Dakota zwischen 1912 und 1924 schildert, auch starke indianische Charaktere auf, die nicht vom Alkohol gezeichnet sind - allen voran die mystische Figur Fleur Pillagers und deren Ersatzvater Nanapush. Aber auch der alte Nanapush muß sich eingestehen, daß der Alkohol - neben den anderen folgenschweren Epidemien - unter den Chippewa viel Leid angerichtet hat: "Our trouble came from living, from liquor and the dollar bill", lautet seine fatalistische Einschätzung (4). Er träumt von einem Leben nach dem Tod, in dem es ihm erlaubt ist, ohne Konsequenzen nach Lust und Laune zu trinken. "In the heaven of the Chippewa [...] there are jars of whiskey purer and more potent than the whiskey here" (160). Die fanatisch religiöse Pauline Puyat, die ihr indianisches Erbe verleugnet, um ein christliches Amt übernehmen zu können, bescheinigt den Weißen voller Neid einen inhärent vernünftigeren Umgang mit Alkohol: "Our Lord [...] had obviously made the whites more shrewd, as they grew in number, all around, some even owning automobiles, while the Indians receded and coughed to death and drank" (139). Selbst dem letzten Bären des Reservats wird der Alkohol zum Verhängnis. Er nascht von einer von Nanapush in einem hohlen Baumstumpf verstecken Weinflasche und verliert im Rausch jeglichen Fluchtinstinkt. Dennoch kann er angeschossen entkommen, ohne Spuren zu hinterlassen. "[I]t could have been a spirit bear", lautet Nanapushs zweideutige Bemerkung hinsichtlich des Verschwindens des Tieres (60).130 Auch die Figur des tragischen Halbbluts findet sich in Tracks: Der Farmer Napoleon, der unter dem Pantoffel seiner reichen und sich am Verlust ihrer Stammesgenossen bereichernden Schwester Bernadette steht, sucht sein Heil - wie jeder dank der umfassenden Informationspolitik im Reservat weiß - in der Whiskeyflasche und stirbt schließlich eines gewaltsamen Todes. Father Damien, der für die Reservation zuständige Missionar, fordert Nanapush auf, die Zügel in die Hand zu nehmen, um weiteres Unheil wie den Tod eines von seinen betrunkenen Eltern im Schnee ausgesetzten Kindes zu verhindern: "You must [...] find ways to prohibit whiskey traders from roosting on the reservation boundary" (185). Nanapush wird dieser Aufforderung nachkommen. Er wird sich die Kunst der Bürokratie aneignen, um die Weißen mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Er wird seinem Stamm wieder ein Anführer sein. Das Buch endet somit auf einer hoffnungsvollen Note.
"Programs to assist Native Americans in making films", so schreiben Mail und MacDonald, "could produce materials with great potential value [...] as clues to culture-specific points of view about alcohol use" (xi). Ob dies dem Film Smoke Signals (1998) gelingt, ob er tatsächlich eine authentische Sichtweise der Alkoholthematik offeriert und damit den Hollywood-Stereotypen Paroli bietet, wird jedoch von Kritikern in Frage gestellt.131 Denn auch dem auf Alexies Kurzgeschichtensammlung The Lone Ranger and Tonto Fistfight in Heaven (1994) basierenden Film132 wird eine zu einseitig negative Darstellung des Zustands der indianischen Gemeinschaft vorgeworfen. Die Kurzgeschichte "This is What it Means to Say Phoenix, Arizona" und der Film erzählen von der Kindheit und Jugend des Victor Joseph, eines im Spokane Reservat lebenden Coeur d'Alene. Er ist der Sohn zweier binge drinker. Bei einem Fest aus Anlaß der amerikanischen Unabhängigkeit (!) steckt Victors Vater Arnold (Gary Farmer) unbeabsichtigt ein Haus mit Feuerwerkskörpern in Brand. Die Insassen kommen ums Leben, bis auf den kleinen Thomas Builds-the-Fire, den die sterbenden Eltern aus dem Fenster werfen und den der ernüchterte Arnold im Spurt auffangen kann. Die bestürzte Großmutter nimmt die Waise bei sich auf und bedankt sich bei Arnold für dessen beherzten Einsatz. Der gibt sein Wissen um die eigene Schuld nicht preis und geht fortan an dem Geheimnis zugrunde. "He practised vanishing", so nennt es Thomas. Während die Mutter (Tantoo Cardinal) das Trinken vollends aufgibt, wird er zum unberechenbaren Alkoholiker, der seiner Familie mal Zuneigung mal Gewalt entgegenbringt. In der Fahrerkabine seines Pickups unterhält er eine Kühlbox, aus der er sich auch unter der Fahrt bedient. Eines Tages verläßt Arnold seine Familie. Jahre später verstirbt er in Phoenix, Arizona, wo er ein neues, abstinentes Leben begonnen hat. Victor (Adam Beach) und Thomas (Evan Adams), der in Arnold seinen Helden und Retter sieht, machen sich als ungleiches Paar auf, die sterblichen Überreste und den Nachlaß abzuholen. Dabei ist der Sohn, der seinem Vater verständlicherweise ablehnend gegenübersteht, zu Beginn der Reise wohl mehr durch den Nachlaß motiviert. Im Verlaufe der von zahlreichen Zwischenfällen begleiteten Fahrt jedoch lernt Victor zu vergeben und zu trauern. Soweit die hoffnungsvolle Wende des Films, der bisweilen geschickt und humorvoll mit den üblichen Klischees spielt. Das Buch schlägt einen weitaus düsteren Ton an: Die Bewohner des Reservats verschreiben sich einer der drei gängigen Religionen: Basketball, storytelling oder Alkohol. Während sich zumindest die Jugend im Film in einer Art Protest gegen die Elterngeneration in Abstinenz übt - schließlich behauptet Victor glaubwürdig gegenüber einem Polizeibeamten "I never had a drop of alcohol in my life. Not one drop." - so steht sie im Buch der Erwachsenenwelt trinktechnisch in nichts nach. Selbst die hoffnungsvollsten Basketballer und Geschichtenerzähler, die Helden des Reservats, verfallen über kurz oder lang der dritten Religion, und die Ausübung der ersten zwei Glaubensrichtungen gestaltet sich damit als unmöglich. Victor, der nicht der Gewinner ist, den sein Name impliziert, ist bereits genetisch vorbelastet, wie er in einer der Kurzgeschichten plastisch erläutert: "I was born a goofy reservation mixed drink [...] half of me formed by my father's whiskey sperm, the other half formed by my mother's vodka egg" (27). In einer durch Drogen hervorgerufenen Vision, einer Art Wunschtraum, sehen sich die jungen Männer als standhafte Alkoholgegner: "The boy Thomas throws the beer he is offered into the garbage [...] The boy Victor spills his vodka down the drain" (21). Die Kurzgeschichte "The Only Traffic Signal on the Reservation Doesn't Flash Red Anymore" fängt in zwei Sätzen die Trostlosigkeit des im Buch präsentierten Reservatslebens ein: "When a glass sits on the table here, people don't wonder if it's half filled or half empty. They just hope it's good beer" (49). Die Indianer im Spokane Reservat, besonders jedoch die Männer, besuchen erfolglos Treffen der Anonymen Alkoholiker, leiden unter den gesundheitlichen Folgen ihres Alkoholismus, verursachen Verkehrsunfälle, vernachlässigen ihre Kinder, sind arbeitslos und infolgedessen arm, werden gewalttätig. Und niemand interveniert; ein jeder akzeptiert die Trostlosigkeit als gegeben: "It's all about reaction as opposed to action" (216). Enthält sich einmal ein Indianer des Alkoholkonsums, so ist er ein Fall für Ripley's Believe It or Not-Museum.133
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