Deutsch-Amerikanischer Almanach

Barbara Boesmiller
George Washingtons Finanzgebaren

1. Einleitung

Einem Denkmal wird sich wohl jeder Betrachter auf andere Weise nähern: Versucht der eine, es als Ganzes wahrzunehmen, so konzentriert sich der andere auf Einzelheiten, widmet sich vielleicht zunächst dem Studium der Körperhaltung, um den Blick erst dann zu den Gesichtszügen schweifen zu lassen. Andere verharren ehrfürchtig am Fuße des Denkmals, sehen auf zu der Figur. Wieder andere wünschen sich eher, in Augenhöhe zu schweben oder gar von oben herab Unstimmigkeiten oder Risse in der scheinbaren Harmonie zu entdecken. Und je nach der subjektiven Betrachtungsweise divergiert das Ergebnis, der bleibende Eindruck. Dies gilt für steinerne Statuen ebenso wie für leibhaftige menschliche Denkmäler, bedeutende Figuren der Zeitgeschichte also.

Auch George Washington, der erste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, löst bei der Würdigung seiner Person, seines Lebens, seiner Taten seit 200 Jahren eine große Bandbreite von Reaktionen aus. Die einen sahen in ihm einen neuen Moses, die anderen eine unerreichbare moralische Instanz, die nächsten ein von der Vorsehung geleitetes Idol. Es wurde und wird ein Held verehrt, der ohne jeden Makel war - und genauso wurde eben jener Held von seinem Sockel in den Staub gestürzt. (vgl. Raeithel 15-20) Allein durch diese immense Beachtung und Fülle von Ansichten heben ihn sowohl Bewunderer als auch Kritiker auf ein Podest, modellieren George Washington zu einem Denkmal der Geschichte. Nicht umsonst trägt wohl auch Marcus Cunliffes Biographie den Titel "George Washington - Man and Monument."

Dabei gibt es in Bezug auf Washington in der Wissenschaft beinahe nichts, was unentdeckt und unerforscht geblieben wäre. Auf den Revolutionär, den Präsidenten und den Soldaten richten sich die Untersuchungen genauso wie auf den Privatmann Washington. Auch seinen finanziellen und wirtschaftlichen Lebensumständen sind einige Bücher gewidmet - einem Bereich, den man in den Biographien eines Staatsmannes nicht immer findet. In Washingtons Fall aber versucht sich beispielsweise George Nordham an einer ‚finanziellen Lebensgeschichte'.

Auch James Thomas Flexner widmet sich in seinem vierbändigen Werk über Washington in einigen Kapiteln wirtschaftlichen, unternehmerischen und finanziellen Aspekten. Marvin Kitman schließlich will den Oberbefehlshaber der Revolutionsarmee als gerissenen Spesenritter entlarven. Da sich aber bei diesen Werken entweder "[...] die Ruhmredigkeit von Hymnenschreibern, [oder die] Gehässigkeit von Nestbeschmutzern, [...]"(Raeithel 19) und ebenso Versuche neutraler Analysen finden, wird eine genaue Betrachtung von George Washingtons Finanzgebaren nur durch eine kritische Gegenüberstellung der genannten Autoren möglich. Dabei ist es nötig, zunächst die Ursprünge seines Finanzgebarens zu erläutern sowie sein Verhalten in verschiedenen ‚Funktionen' - wie Gutsbesitzer, Unternehmer, Oberbefehlshaber - die er im Laufe seines Lebens inne hatte. Gleichzeitig sollen entscheidende Wesensmerkmale und Vorgehensweisen in Finanzangelegenheiten sowie unterschiedliche Ansätze einiger Biographen herausgearbeitet werden. Zu erwähnen ist, dass die Schwierigkeit bei dieser Arbeit unter anderem in der Unmenge verschiedener Währungen besteht, die zu Lebzeiten George Washingtons in Umlauf waren. Angegeben werden daher die Beträge in Pfund oder Dollar, wie sie die verwendeten Biographen aufführen. Nordham beispielsweise setzte ein Pfund gleich $26,00 (Nordham 5).

Da neben anderen Wertvorstellungen und Verhaltensweisen auch der Umgang eines Menschen mit Geld und Besitz durch die Erziehung sowie die Verhältnisse im Elternhaus geprägt wird, soll nun die Schilderung der Kindheit und Jugend Ausgangspunkt der folgenden Betrachtungen sein.

2. Prägende Einflüsse auf George Washingtons Finanzgebaren in Kindheit und Jugend

Geboren wurde George Washington am 11.Februar 1732 [1] in Westmoreland County, Virginia, als erster Sohn von Mary Ball und Augustine Washington. Fünf Geschwister folgten in den Jahren darauf, die älteren Stiefbrüder Lawrence und Augustine junior sowie die Stiefschwester Jane stammten aus der ersten Ehe des Vaters (Flexner I 11f.). Der Familie ging es wirtschaftlich vergleichsweise gut, obwohl sie nicht zur Oberschicht zählte. Der Vater besaß etwa 50 Sklaven, investierte in Land und Bergbau und konnte es sich daher leisten, die beiden ältesten Söhne zur Ausbildung nach England zu schicken. "Thus might they acquire the breadth and polish befitting a Virginia gentleman ; through luck, shrewd investment and a careful marriage they might amass the wealth to accompany such manners." (Cunliffe 31)

Sicherlich träumte auch George als Kind davon, dass ihm ein Aufenthalt in England die Tür zur virginian gentry öffnen würde. Doch es sollte anders kommen - als er elf Jahre alt war, starb der Vater. Besitz wie beispielsweise Ländereien ging an die ältesten Söhne über. George, seine Mutter sowie die jüngeren Geschwister wohnten jedoch weiter auf Ferry Farm, dem inzwischen dritten Wohnsitz der Familie, den George später erben sollte (Cunliffe 31). Auch wenn damit sein Lebensmittelpunkt konstant blieb, so brachte der Tod des Vaters doch tiefgreifende Veränderungen für den Jungen mit sich (Flexner I 18). Die Beziehung zur Mutter bekam eine neue Qualität, denn "[...] (he) became at eleven the oldest child in her household, captain, under her demanding eye, [...]"(Flexner I 19). Damit wurden die Weichen gestellt für ein lebenslang gespanntes Verhältnis zwischen beiden - Francis Bellamy nennt es "[...] a struggle which lasted for more than forty years. [...] an armed neutrality [...]" (17) und darin gründen einige, unter anderem für sein Finanzgebaren entscheidende Charakterzüge Georges.

Auch wenn viele Biographen Mary Ball Washington nur wenig Aufmerksamkeit widmen, so werden einige Punkte häufig beschrieben - ihre mangelhafte Erziehung, ihr Eigensinn, ihre Dominanz und ihre angeblich furchteinflößende Gefühlskälte. Einen Schlüssel zu diesem Verhalten sieht Bellamy (18f.) in einem Minderwertigkeitskomplex, bedingt durch eine nicht einwandfreie Herkunft. Wohl als Kompensation projizierte sie all ihre Hoffnungen auf einen sozialen Aufstieg in ihren Erstgeborenen George, verlangte seinen bedingungslosen Gehorsam und wollte die totale Kontrolle über ihn. Zwar versuchte George oft, ihrem Zugriff zu entfliehen - etwa durch Besuche bei Verwandten und Bekannten - doch der Druck blieb. Er sah sich unablässig gefordert, konnte es der Mutter nie recht machen, musste eigene Bedürfnisse zurück stellen und eignete sich dabei sicher auch ein Gefühl der Minderwertigkeit an.

Neben diesem psychischen Stress wuchsen die wirtschaftlichen Probleme auf Ferry Farm: "The family wasn't poverty stricken or destitute but it was far from any sense of financial security and comfort" beschreibt Nordham (11) die finanzielle Lage zu dieser Zeit. Und Washington selbst konstatierte später "[...] how 'sensibly' [...] (I) had felt in those years 'the want of money.' " (Flexner I 30).

Georges formale schulische Ausbildung und Erziehung endete bereits im Alter von 15 Jahren, wenn nicht etwas früher. Wie erwähnt, war ein Schulaufenthalt in England nicht mehr finanzierbar gewesen. Daher wurde er zu Hause praxisnah unterrichtet - "[...] he was learning arithmetic that served accounting, and also the geometric basis of surveying." (Flexner I 16) Zwar war er begierig, weiter zu lernen, allerdings waren es letztlich nur die mathematischen Grundlagen der Landvermessung, in denen er sein Wissen vervollkommnen konnte (24).

Sucht man nun nach einer Vokabel, um diese prägenden Jahre zu beschreiben, so ist das Wort ‚unzureichend' am treffendsten. Die formale Ausbildung war unzureichend, eine unbeschwerte kindgemäße Entfaltung nicht möglich. Und bedingt durch den Mangel an liebevoller Zuwendung, konnte der Sohn den stetigen Ansprüchen seiner Mutter auch nur unzureichend genügen. Ein Kind von elf Jahren kann in der Rolle des Familienoberhauptes nur scheitern. Wie tief verwurzelt der daraus resultierende Komplex war, zeigt die Tatsache, dass Washington Zeit seines Lebens äußerst empfindlich auf Andeutungen reagierte, er könne ihm übertragene Aufgaben nicht erfüllen (Bellamy 18). Zuletzt war die soziale Stellung der Familie, von den Stiefbrüdern abgesehen, genauso unbefriedigend wie das Management von Ferry Farm. All dies hatte eine gemeinsame Basis beziehungsweise Folge: unzureichende finanzielle Möglichkeiten.

Man kann annehmen, dass George diese Zusammenhänge erkannte und sein späteres Verhalten davon bestimmt wurde. Jemand, der als Kind das Gefühl hat, dass sein Tun nie genügt, wird bei entsprechender Veranlagung versuchen, sich zu beweisen. Er wird die höhere soziale Stellung, den Ruhm und die Anerkennung anstreben, die ihm bisher verwehrt blieben. Musste er eigene Wünsche zurückstellen, so wird er alles daran setzen, diese später um so exzessiver zu befriedigen und sich beispielsweise mit Luxusgütern umgeben. Gleichzeitig wird er sich, da er so vieles nicht kann, auf das konzentrieren worin er fähig ist - im Falle Washingtons die mathematischen Kenntnisse (Bellamy 35). Voraussetzung für solche Reaktionen sind selbstverständlich charakterliche Anlagen wie Durchsetzungsfähigkeit, Ehrgeiz und Zielstrebigkeit. Dass Washington diese hatte, zeigt sich unter anderem darin, dass er sich als einziges der Kinder der Mutter widersetzte. Flexner (I 20) stellt dazu fest: "Certainly the self-reliance that was one of [...] (his) greatest strengths [...] manifested itself, by his desire to escape from a home where he was not content." Bellamy (27) bezeichnet George als ähnlich starrköpfig wie seine Mutter.

Bei den beschriebenen Reaktionen zeigt sich zudem: Sie stehen wieder in direktem Zusammenhang mit Geld. Finanzielle Mittel sind es, die den Ausweg aus der ‚unzureichenden' Situation bringen können. Und außerdem war Washington schließlich zum ‚Rechner' erzogen worden.

In seinen Kindheitserfahrungen den Schlüssel für sein Finanzgebaren zu sehen, ist daher durchaus logisch - auch wenn im Grunde keiner der hier verwendeten Autoren auf diese Zusammenhänge eingeht. Nordham verzichtet darauf, da er darstellen will, ob Washington reich oder arm war und nur sehr marginal, warum er sich in Finanzfragen wie verhalten hat. Kitman beschäftigt sich vorrangig mit der Zeit als Oberbefehlshaber, und für Flexner steht die Gesamtperson Washington im Vordergrund, wobei es seinem Werk manches Mal an kritischer Distanz mangelt. Eine Analyse der Unzulänglichkeiten in der Kindheit Washingtons würde wohl den positiven Gesamteindruck stören.

3. George Washingtons Finanzgebaren als sozialer Aufsteiger

Den Weg zum ersten eigenen Geld ebnete nun vor allem der ältere Stiefbruder Lawrence. Er hatte, wovon der junge George träumte - die Ausbildung in England, eine Karriere beim Militär, die richtigen Manieren und Kontakte, die ein Mitglied der virginian gentry brauchte. Er war ein Beispiel dafür, dass all diese Dinge mit Geld zu erreichen waren. Lawrence war für George ein Idol und eine Art Vaterfigur (Bellamy 26). Er war es auch, der ihm zusammen mit seinem Schwiegervater Lord Fairfax die erste Anstellung verschaffte und damit das Tor zur besseren Gesellschaft aufstieß. George begann im Alter von 16 Jahren eine Karriere als Landvermesser. "(This) was more than a real estate opportunity. It was open sesame to high society." (Bellamy 27) Zu Gute kam George dabei seine Liebe zur Geometrie, zu Zahlen generell. Bellamy (35) schwärmt geradezu von "[...] most perfectly done logarithms in Washington's own handwriting.", von einem "flair for geometry" und stellt fest "He was a born surveyor or engineer."

George ließ sich bei seiner ersten Anstellung teilweise in Land bezahlen (Bellamy 45), wenig später wurde er für ein festes Gehalt als offizieller Landvermesser für Culpeper County engagiert. Hierfür erhielt er den Berechnungen Nordhams (11)zufolge etwa $ 3,500 im Jahr. Da George nun, um 1749, erstmals selbst Geld hatte, zeigten sich zu dieser Zeit auch Grundzüge seines Finanzgebarens, die ihn sein Leben lang begleiteten: "[...] Washington was keeping careful accounts of his cash expenditures, down to the last halfpenny, a habit he was to continue [...]" (Flexner I 38). Mit dem eigenen Einkommen hatte er die ersten Sprossen der sozialen Leiter erklommen.

Da es ihm in der Folge nicht gelang, mit Hilfe einer Heirat noch weiter nach oben zu kommen - die Auserwählte war die Tochter eines reichen Pflanzers und für diesen war ein Bewerber aus einer "secondary family" (Flexner I 51) nicht akzeptabel - suchte George nach einem Posten, der seinen Status verbessern würde. Nach dem Tod seines Bruders Lawrence konnte er sich dessen Stelle als adjutant general des Staates Virginia sichern, für ein Gehalt von 100 Pfund im Jahr. Zwar spricht Flexner (I 52) nicht offen davon, dass George seinen Aufstieg in diesen Posten akribisch plante. Doch sich bereits darum zu kümmern, während Lawrence noch auf dem Sterbebett dahinsiechte, offenbart milde ausgedrückt eine gewisse Unbekümmertheit. Flexner räumt ein, dass Washington nicht die nötigen Qualifikationen besaß und sich den Posten durch Besuche bei einflussreichen Leuten beinahe erbettelte. Er erklärt dieses Vorgehen aber als "a maneuver completely in the Fairfax tradition" (I 52) und schreibt es damit dem Einfluss dieser befreundeten Familie zu, nicht etwa Washingtons Charakter. Dass ein Mensch, der schon als Kind als sehr eigenwillig beschrieben wird, sich so willig den Gepflogenheiten anderer anpasst, ist jedoch mehr als fragwürdig.

Wie schon der Tod des Vaters, so brachte nun der Tod des Bruders wirtschaftliche Veränderungen für George - diesmal jedoch positive. Neben drei Grundstücken in Fredericksburg, die er bereits zu Lebzeiten Lawrences erhalten hatte, sollte er die Farm Mount Vernon sowie weitere Ländereien erben, wenn die Familie des Bruders starb. So lange musste er aber nicht warten: nach weniger als sechs Monaten heiratete die Schwägerin erneut, zog aus und überließ Mount Vernon ihm (Flexner I 52).

Bis hierher war George mit einer durchaus berechnenden Zielstrebigkeit vorgegangen. Eben jene ließ er aber im Hinblick auf Mount Vernon vermissen. Er stürzte sich nicht mit Feuereifer in die Arbeit des Gutsbesitzers, wie man es erwarten mochte. Zwar liefen die Geschäfte einigermaßen, doch es wäre mehr herauszuholen gewesen. George aber "[...] had not devoted any real time to the effort." (Nordham 12), zudem war er bedingt durch Armeeeinsätze häufig abwesend. Dieses Verhalten verwundert, ist aber ein Anzeichen für einen wichtigen Charakterzug Washingtons: seine Widersprüchlichkeit. Einerseits verspürte er "the want of money" (Flexner I 30), arbeitete daran, diesen Zustand zu beenden. Doch als er den Schlüssel zum wirklichen Ausbau seiner finanziellen Lebensgrundlage in der Hand hielt, Mount Vernon nämlich, reagierte er zunächst zögernd.

3.1. Wohlstand durch Heirat

Für seinen weiteren Aufstieg bediente er sich anderer Mittel: endlich fand sich die reiche Braut. Washington handelte schnell. Zehn Jahre lang, von 1749 bis 1759, hatte er für Sally Fairfax geschwärmt, die Frau seines Freundes. Doch dann, nach nicht einmal einem Jahr Bekanntschaft - in dem er oft wochenlang unterwegs war - heiratete er im Januar 1759 Martha Dandrige Custis, eine junge Witwe und die zu dieser Zeit reichste Frau in ganz Virginia(Flexner I 191). Sie besaß Ländereien, etwa 150 Sklaven, Vieh, Möbel, einen luxuriösen zweirädrigen Pferdewagen und etwa 20.000 Pfund Bargeld. Dazu kam das Erbteil von Sohn John und Tochter Martha aus erster Ehe. Wie damals üblich, kontrollierte der Ehemann Washington ein Drittel des Besitzes seiner Frau sowie das Geld der Kinder - er war zum ersten Mal in seinem Leben ein reicher Mann(Nordham 12).

Rein finanziell gesehen war es ein genialer Coup, Martha zur Ehefrau zu nehmen: vergleichsweise bescheidene "Investitionen" für einen maximalen Gewinn. Zu Washingtons Einsatz gehörte, dass er sich, obwohl noch nicht ganz von einer Krankheit genesen, zu einem Kondolenzbesuch aufmachte, als er vom Tod von Marthas erstem Mann erfuhr. Dem schlossen sich weitere Besuche bei der Zukünftigen und den Kindern an, begleitet von exorbitanten Trinkgeldern für die Dienstboten - die Summen waren etwa zehnmal höher als das, was er sonst zu geben bereit war (Flexner I 192). Welchen Zweck er mit diesen Gaben verfolgte, lassen die Biographen offen. Es liegt aber nahe anzunehmen, dass er die Umgebung der Familie für sich gewinnen wollte, wobei auffällt, dass von Geschenken an die Kinder, die der Mutter naturgemäß näher stehen als Dienstboten, nicht die Rede ist. Es ist ferner anzunehmen, dass Washington unnötige Ausgaben vermeiden wollte, da die Kinder noch sehr klein und ihr Einfluss auf die Mutter daher eher gering war.

Bei der Betrachtung dieser Heirat drängt sich die Frage auf, welche Rolle Liebe und Zuneigung spielten und welche Rolle finanzielle Erwägungen. Viel wurde und wird darüber spekuliert, eine eindeutige Antwort gibt es nicht.[2] Nur einige Indizien seien hier kurz erwähnt. Für eine emotionale Bindung spricht die Tatsache, dass nichts über größere Zerwürfnisse bekannt ist und die Ehe bis zu Washingtons Tod hielt, obwohl aus ihr keine eigenen Kinder hervorgegangen waren und ihn dies laut Flexner (269f.) durchaus schmerzte. Gegen eine Liebesheirat spricht die jahrelange Anbetung der Sally Fairfax, die sich in einer Fülle von Liebesbriefen und feurigen Schwüren Washingtons manifestierte wie beispielsweise "Tis true, I profess myself a Votary of Love [...]"(zit. Flexner I 197).

Selbst im Alter sprach er von dieser Bekanntschaft als "[...] those happy moments, the happiest of my life [...]"(zit. Flexner I 204). Weitere Sätze aus Washingtons eigener Feder lassen nicht an eine Liebesehe glauben. In einem Brief an seine Stiefenkelin nannte er die seiner Ansicht nach entscheidenden Faktoren für eine gute Ehe - "[...] the partner should have good sense, a good disposition, a good reputation, and financial means" (zit. Flexner I 200). Tiefe gegenseitige Gefühle erwähnte er nicht. Man darf wohl davon ausgehen, dass zwischen ihm und Martha freundschaftliche Zuneigung bestand - wobei ein status-seeker wie er der finanziellen Seite dieser Ehe mit Sicherheit ebenfalls sehr zugetan war.

3.2. Leben im Luxus

Denn Schwierigkeiten, mit dem neugewonnen Reichtum umzugehen, hatte Washington nicht - obwohl Kitman (116) bemerkt "[...] in the days before he married Martha, Washington had a reputation for being tight, even stingy." Man könnte meinen, ein Damm sei gebrochen und er versuche in kürzester Zeit, all seine aufgestauten materiellen Bedürfnisse zu befriedigen. Nordham (13) bemerkt treffend: "As soon as he married, he began to aggressively improve his lot in life. He became a farmer, plantation owner, family man, businessman, civic leader and politician [...]".

Zunächst frönte Washington dem Luxus des Einkaufens: kurz nach der Hochzeit schickte er eine lange Liste mit Bestellungen an Robert Cary & Company in London, einen Händler, der bereits Martha und ihrem ersten Mann zu Diensten gewesen war. Immer wieder finden sich die Adjektive "best" und "fashionable" (Wilstach 69ff.) bei den einzelnen Gegenständen, denn sein Geschmack war "[...] absolutely first-rate. Everything had to be the best possibly obtainable, from anywhere" (Nordham 18). Nicht einmal ein halbes Jahr später ging eine zweite Liste mit etwa 250 Punkten nach London.

Neben seidener Kleidung mit Silberstickerei für die Kinder orderte Washington auch Gewänder für sich selbst und Martha. Er legte dabei erneut Wert auf "finest Cloth & fashionable color" (Wilstach 70f.). Jetzt konnte er sich solche Ausgaben wahrhaft leisten, seinen Hang zum luxuriösen Dandytum hatte er jedoch bereits bei der Hochzeit bewiesen: Er trug "[...] (einen) Anzug aus blauem Tuch und rotem Seidenfutter und silbernen Ornamenten; die weiße Weste aus besticktem Satin; die Schnallen an Schuhen und Knien aus Gold" (Raeithel 55).

Auch dem Wohnhaus auf Mount Vernon widmete Washington viel Aufmerksamkeit und Geld. Um es für seine Braut zu rüsten, vergrößerte er das Gebäude ab 1758. Nordham berichtet von Kosten von umgerechnet $ 8,500 Dollar und nimmt dies als Beleg dafür, dass der Bauherr schon vor der Heirat gut bei Kasse war. Dies kann man in Zweifel ziehen - weiß der Bräutigam, dass die Zukünftige eine üppige Summe mit ins neue Heim bringt, kann er durchaus spendabler sein, als es sein eigener Geldbeutel zulässt. Schließlich wird die Kasse durch die Mitgift aufgefüllt, in Marthas Fall mehr als reichlich (Nordham 13).

Zum standesgemäßen Leben eines Landedelmannes gehörten auch einige teure ‚Hobbies'. Von Jagden, Bällen, Einladungen, ja von Amusements jeglicher Art bekam Washington nicht genug: "From a diary entitled 'Where and How My Time was Spent,' we discover that in 1768 he hunted foxes on forty-nine days; [...] paid many visits, attended two balls, three plays, and one horse race; did some duck shooting, and played a quantity of cards"(Flexner I 238). Washington widmete sich zudem ausgiebig der Zucht von Jagdhunden und baute bis 1789 einen Bestand edler Tiere internationaler Abstammung auf, ebenso eine Pferdezucht (Flexner I 240 und III 27).

In der Literatur sind einige Hinweise auf die finanzielle Seite dieser Vergnügungen zu finden. So war Washington laut Flexner oft sehr freigiebig. Er kaufte nach Lust und Laune Tombolalose, ganz egal, was der in Aussicht gestellte Gewinn war. Genauer sind die Angaben in Bezug auf eine andere Leidenschaft Washingtons, das Kartenspiel. Nahm er am Spieltisch Platz, so "[...] rieben sich die Mitspieler die Hände" (Raeithel 69). Allein in einem Spiel verlor er mehr als 9 Pfund.

So locker ihm selbst das Geld bei all diesen Leidenschaften saß, so streng verbot er sie anderen. Der Spieler Washington mahnte 1777 in einem Brief "Gambling of every kind is expressly forbid, as the foundation of evil, and the cause of many gallant and brave officer's ruin." Und 1783 warnte er einen Neffen eindringlich "Avoid gambling. This is a vice which is productive of every possible evil" (zit. Nordham 79). Schmerzhafte finanzielle Verluste mögen Washington über die Jahre zu dieser Verdammung des Spielens getrieben haben, auch sollte in seinen Augen sicher nicht jeder dem gleichen Luxus frönen wie er. Doch die Diskrepanz zwischen dem Bild nach außen, dem Anspruch, und dem tatsächlichen Verhalten ist offensichtlich.

Sie findet sich auch hinsichtlich seines gesamten Lebensstils auf Mount Vernon. Washington beklagt sich einmal "[...] that he was‚ as it were, involuntarily compelled' to keep up a grand and expensive establishment" (Flexner III 29). Flexner nimmt seinen Helden dabei natürlich in Schutz und gibt ihm Recht, doch jener, der hier so bitter klagte, war der gleiche Washington, der beispielsweise einen in seinen verwöhnten Augen zu wenig glamourösen Ball ironisch als "Bread & Butter Ball" (Wilstach 95) titulierte, der gleiche Mann, der geradezu süchtig danach war, Gäste zu beherbergen. Auch wenn man berücksichtigt, dass sich Besuche im 18.Jahrhundert allein der Entfernungen und beschwerlichen Reisen wegen nicht auf einen Nachmittag beschränken konnten, so wurde Mount Vernon geradezu überschwemmt von Gästen, die tagelang blieben. Zum Teil waren es völlig Fremde, die da Einlass fanden. Manchmal kam dabei selbst dem akribisch Buch führenden Washington der Name eines Besuchers nicht mehr in den Sinn, einmal verglich er sein Haus mit einer "well resorted tavern" (Wilstach 89). Im Jahre 1799 schließlich findet sich der Tagebucheintrag, er und Martha hätten jüngst erstmals seit 20 Jahren alleine zu Abend gegessen (Wilstach 219). Immer wieder hielt Washington in seinen Aufzeichnungen fest, wie trist Tage waren, an denen die Familie sich selbst überlassen blieb - denn "He needed to be with other people in order to function fully. It cost money to do so"(Nordham 20).

Trotz der Klagen über den angeblich aufgezwungenen Luxus kann man daher annehmen, dass er die Ausgaben für diese Haushaltsführung, für Reisen und seinen aufwändigen Lebensstil gerne in Kauf nahm - konnte er doch mit dem Luxus kokettieren und seine soziale Stellung untermauern. Dies bestätigt Nordham (19): "All these kinds of expenses added up to considerable amounts of cash spent to create an image of a leader, a socially and civicallyresponsible and prominent individual." (vgl. auch Flexner I 278)

Für einen ehrgeizigen Dandy wie Washington waren es also lohnende Investitionen.

4. George Washingtons Finanzgebaren als Unternehmer

4.1 Als Gutsherr

Nach seiner Heirat widmete er sich auch dem Gut und damit dem Beruf eines Großbauern und Unternehmers. Seine mangelnde Erfahrung auf diesem Gebiet versuchte er durch die Lektüre von Lehrbüchern wettzumachen. Eines dieser Werke machte seinen Zweck schon im Titel klar - es hieß "A System of Agriculture or a Speedy Way to Get Rich" (Flexner I 272). Auf dem Weg zum schnellen Profit machten Washington die schlechten, ausgelaugten Böden auf Mount Vernon zu schaffen. (Flexner III 49) Dennoch versuchte er, durch empirische Beobachtungen zu ermitteln, wie sich am besten Produktionssteigerungen in der Landwirtschaft erzielen ließen (Flexner I 273f ; Wilstach 80f.). Noch kurz vor seinem Tod entwarf er einen Plan zur Fruchtfolge bis ins Jahr 1803 (Flexner IV254). Diesmal getreu seinem Motto "whatever is done should be well done" (zit. Wilstach 82, Hervorh. im Original) verfuhr er bei all diesen Aufzeichnungen mit einer Akribie, die seinen Angestellten eine Engelsgeduld abverlangte - beispielsweise errechnete er genau, wie viele Reihen eines Feldes sich mit wie vielen Körnern Saatgut besäen ließen. Über Einnahmen und Ausgaben der ‚Firma' Mount Vernon sowie die der Familie versuchte er ebenfalls genau Buch zu führen - wobei er hier seinem eigenen Motto nicht gerecht wurde. Selbst Flexner (I 277)bemerkt dazu: "[...] he kept no general record of bills payable and made no adequate distinction between capital and other expenditures." Schon 1763 geriet er gegenüber seinem Zwischenhändler Cary in London in die roten Zahlen, wozu auch das System solcher Geschäftsbeziehungen im 18. Jahrhundert beitrug. Die Pflanzer in Virginia schickten damals ihre Produkte nach England, die ein Händler dort verkaufte und vom Erlös die gewünschten Sachgüter in die Kolonien schickte. Wie hoch der Gewinn des Pflanzers war, hing von Geschick, Wohlwollen und Ehrlichkeit des Partners ab - und das System war für diesen meistens vorteilhafter (Nordham 15). Washingtons Finanzgebaren gegenüber Cary machte diese Konstellation nicht besser. Anstatt forsch aufzutreten oder sich einen anderen Händler zu suchen, schickte er beinahe weinerliche Briefe über seine Schulden nach London. "And how he complained! In the hundreds of letters he wrote his English factors it is hard, if not impossible, to find a word of praise for anything they had done" (Flexner I 281). Konnte er andere Rechnungen nicht zahlen, so versandte er ebenfalls Jammerbriefe, versehen mit einem Kontoauszug seiner Schulden bei Cary (Nordham 14). Seine Klagen - auch über Missmanagement auf der Farm während seiner Abwesenheit durch Kriegseinsätze - gipfelten um 1763 in der Feststellung "[...] it 'swallowed up ... all the money I got by my marriage, nay more, and brought me into debt.'"(Nordham 14).

Dass von Marthas Mitgift wirklich nichts mehr übrig war, ist zu bezweifeln - wie Washingtons eigene Einschätzung seiner finanziellen Lage überhaupt. Zwar hatte er stets wenig Bargeld zur Verfügung, doch er war nie so arm, wie er selbst glaubte beziehungsweise andere glauben machen wollte. Hintergrund ist zum einen das bereits geschilderte Handelssystem mit dem Geschäftspartner in England. "It was a form of "checkless, cashless" society ..." (Nordham 15), in der Bargeld selten nötig war und mit dessen Hilfe Washington durchaus auch Währungsschwankungen auszugleichen versuchte, in der Hoffnung auf größere Gewinne. Einerseits war er also auf dieses System angewiesen, nutzte es für sich und sein Fortkommen, andererseits schien er das wirkliche Wesen dieses Systems und dessen Folgen nie ganz zu verstehen. Es ist selbstverständlich, dass bei solch einem Tauschhandel Situationen entstehen, in denen ein Geschäftspartner im Minus ist: Hatte der eine schon Sachgüter erworben, der andere aber seine landwirtschaftlichen Produkte noch nicht geliefert, so musste der Händler dies überbrücken. Kaufte Washington ein, bevor seine Waren losgeschlagen werden konnten, war er im Minus. Dieser systemimmanente Kreislauf gepaart mit der durchaus chaotischen Währungssituation im 18. Jahrhundert (Nordham 19f.) und seiner Gewohnheit, Zahlungen anderer an ihn schon dann auf der Habenseite zu verbuchen, wenn sie fällig waren und nicht erst, wenn sie tatsächlich eintrafen (Flexner IV 373f.), führte bei Washington zu ständigen Fehleinschätzungen seiner finanziellen Lage. Nordham gibt ein Beispiel: "[He] typically spoke of his financial condition in terms of a cash-in-pocket-mentality, [...] not fully realizing that gross receipts of $ 2,000 or so would not and did not materially affect his overall fortune"(Nordham 17).

Was Washington sagte, stand also fast nie in Einklang mit der tatsächlichen finanziellen Situation. Er war manches Mal cash-poor, aber beleibe nie arm. Abgesehen davon hat er wohl die Klagebriefe berechnend eingesetzt, um bei anderen eine mitfühlende Reaktion zu erzeugen. So dürfte sich der Versuch einer finanziellen Strategie hinter diesem hypochondrischen Lamentieren verborgen haben, die Hoffnung beispielsweise, dass dem reichen Gutsbesitzer Schulden erlassen werden, wenn er nur oft genug darauf hinweist, wie schlecht es ihm doch geht.

4.2 Als Landspekulant

Washingtons spezieller Umgang mit Schulden und Schuldnern zeigt sich auch, wenn man ihn zusammen mit der "Liebe seines Lebens" (Flexner I 289) betrachtet, der Landspekulation. Zunächst aber zu den Ursprüngen und dem Wesen dieser Beziehung: Den Grundstein legte die Tätigkeit als Vermesser in jungen Jahren, während derer Washington erste Ländereien erwarb. Die Faszination, die das Spekulieren mit Land auf ihn ausübte, blieb bis zu seinem Tode bestehen. "IN NO OTHER direction did Washington demonstrate such acquisitiveness as in his quest for the ownership of land. [...] (He) engaged in speculations so uncertain that he characterized them as lotteries. They appealed to the gambler's instinct that was deep in his nature." (Flexner I 289, Hervorhebungen im Original; vgl. Waggoner 52f.)

Um seinem Idol nicht zu nahe zu treten, erwähnt Flexner hier zwar, dass Washington riskante Geschäfte tätigte und den Nervenkitzel ebenso liebte wie den Profit. Gleichzeitig sieht der Autor in diesem Verhalten aber "[...] an expression of love, a form of worship for the vast American continent." (289), denn dem Vater der Nation konnte es natürlich nicht nur um die eigene Börse gehen. John M. Waggoner ist anderer Ansicht - er betrachtet Washington mit einem guten Schuss Ironie und zeichnet das Bild eines gierigen Landbarons, der manches mal keine Fortune hatte. Beispielsweise wurde der hartnäckig verfolgte Plan, den Fluss Potomac als Handelsweg zu nutzen, zu Lebzeiten Washingtons nicht verwirklicht - er brachte ihm nur finanzielle Verluste ein (52f., vgl. auch Flexner I 290f. und IV 374f.).

Nicht unproblematisch war auch sein Verlangen nach Gebieten östlich des Mississippi ab 1763. Die britische Krone wollte Siedlungen dort nach Auseinandersetzungen mit den Indianern nicht gestatten - Washington schickte dennoch Landvermesser los und bereitete so den Boden für Geschäfte, die er tätigen konnte, als die Krone fünf Jahre später ihre Meinung änderte. Schwierigkeiten bei seinen Landgeschäften hatte er immer dann, wenn er ihnen wegen der großen Entfernungen, während seiner verschiedenen Kriegseinsätze oder später als Präsident nicht die nötige Aufmerksamkeit widmen konnte. So war Mitte der 1780er Jahre eine Inspektionsreise zu seinen Ländereien westlich des Blue Ridge und der Alleghenies nötig, "[...] (because they) were in various states of disarray" (Flexner III 57). Schon zuvor hatte Washington in einem Brief enttäuscht festgestellt "Lands far removed from the proprietors of them, however valuable in themselves, are very unprofitable" (zit. Nordham 71).

Er verspürte also eine unbeschreibliche Gier nach Land, verstand es, sich bei jeder Gelegenheit die besten Grundstücke zu sichern und mehr als geschickt zu spekulieren: "Ein für 55 Dollar erstandenes Areal brachte beim Verkauf 12 000 Dollar ein" (Raeithel 46). Immer verstand er es, den Preis so anzusetzen, dass ihm genügend Spielraum blieb, falls er bei seinen Forderungen doch noch nachgeben musste. Häufig bestand er auf Barzahlung - "The more cash he required, the lower the price he could ask" (Flexner IV 373). Besonders im Alter nutzte er zudem rücksichtslos seine soziale Stellung aus, um seinen Landhunger zu stillen. Selbst Flexner gesteht ein: "Now he was shameless about demanding favors. [...] For the services of gentlemen, he never offered payment [...]. Only in matters too minor 'to trouble my friends with' did he employ paid agents" (Flexner IV 372).

Bis hierhin erscheint Washingtons Geschäfts- und Finanzgebaren als das eines gewieften, teilweise durchtrieben-rücksichtslosen Spekulanten. Gleichzeitig finden sich aber eklatante Widersprüche in seinem Tun. So verbuchte er auch bei seinem Handel mit Ländereien finanzielle Forderungen auf der Habenseite, noch bevor diese tatsächlich bei ihm eingingen. Er machte Geschäfte mit Leuten, die als unzuverlässig bekannt waren - und musste die erwarteten Einnahmen prompt abschreiben (Flexner IV 373f.). Die Vorstellung, durch ein Gerichtsurteil gegen einen Schuldner an sein Geld zu kommen, bereitete ihm seltsamerweise Unbehagen. So schrieb er 1786: "I have had [...] so little to do with law and lawyers that I feel myself extremely awkward in these matters" (zit. Flexner I 257). Ließ er es dennoch auf ein Verfahren ankommen, so gab er sich zu rasch mit einem Vergleich, dem Aufschub des Zahlungstermins nämlich, zufrieden - zu dem das Geld meist wieder nicht eintraf. Darüber hinaus war er der für einen Geschäftsmann unpassenden Ansicht, er könne Schulden nicht nur deshalb eintreiben, weil diese fällig waren. "He felt that he had also to demonstrate that he needed the money. Thus, the [...] correspondence is full of passages picturing him on the point of bankruptcy" (Flexner IV 374).

Erneut paaren sich in seinem Finanzgebaren also Cleverness und die Gier nach dem Besitz mit inkonsequentem, ungeschicktem und manchmal planlos-starrköpfigen Verhalten. Er war ein Spieler, dem oftmals profitable Siege gelangen, der es aber wiederholt nicht bemerkte, wenn das Blatt in der Hand nicht hielt, was es versprach und er den Ausstieg verpasste.

5. George Washingtons Finanzgebaren als Wohltäter

Betrachtet man George Washingtons Umgang mit Geld und die Darstellungen der Biographen dazu, so ist auch sein Verhalten als Gönner zu berücksichtigen. Er unterstützte die durch die Verwandtschaft seiner Frau und seine Geschwister weit verzweigte Familie genauso wie fast völlig Fremde. Beispielsweise kam er für die Studienkosten des Sohnes eines flüchtigen Bekannten auf(Bellamy 155). Nordham verlässt beim Thema Wohltätigkeit den Boden nüchterner Analyse und schwärmt: "George Washington was one of the most generous, most human persons imaginable. [...] He did not pay lip-service to the idea of helping others. He did pay money to help, and lots of it" (19).

Man kann durchaus davon ausgehen, dass sich Washington in gewissem Sinne verantwortlich fühlte für andere - doch sicher war er auch sehr geschmeichelt, dass die Menschen zu ihm kamen, um Hilfe zu erbitten. Schließlich hatte er es zu etwas gebracht, er konnte es sich leisten. Wenn er Geld verlieh und nicht verschenkte, kam es vor, dass der Empfänger entscheiden konnte, wann und ob er es zurückzahlte (Flexner I 259).

Ständiger Quell finanzieller Sorgen war die Familie - sowohl die seiner Frau Martha als auch seine eigene. "[...] every family member considered George Washington the one to turn to for anything"(Nordham 38). Sein Bruder Samuel beispielsweise häufte Schulden über Schulden an. Zwar beklagte Washington sich mehrfach über deren Höhe, doch er lieh dem Bruder immer wieder Geld, übernahm die Kosten für die Ausbildung seiner Neffen oder das Brautkleid seiner Nichte. Vor allem aber musste Washington seiner Mutter Mary finanziell unter die Arme greifen. "She was forever in need of cash, due to her own mismanagement and stubborn ways" (Nordham 36). George kam für ihren Lebensunterhalt auf, versorgte sie mit Bargeld und finanzierte ihr 1771 den Umzug nach Fredericksburg sowie ein Haus dort (Nordham 36, Flexner I 264). Die von jeher gespannte Beziehung zur Mutter belasteten die Querelen um Geld zusätzlich, 1787 kam es zu einer Eskalation. Washington reagierte auf öffentliche Beschwerden der Mutter über ihre schlechte wirtschaftliche Lage und die Vernachlässigung durch ihren Sohn mit einem erbosten Brief. Er legte darin penibel seine - natürlich schlechte - finanzielle Situation dar und gab ihr seitenlange Ratschläge, wie sie mit ihrem Geld in Zukunft besser auskommen könne (Bellamy 22). Diese fasste er schließlich in dem Satz zusammen "[...] my sincere and pressing advice to you is, to break up housekeeping, hire out all the rest of your servants except a man and a maid and live with one of your children" (zit. Bellamy 23f.).

Man kann Verständnis haben für den Unmut, den ein Sohn verspürt, der seiner Ansicht nach für die nörglerische Mutter alles getan hat - zumindest in finanzieller Hinsicht. Dass dieser sie in seinem Zorn auffordert, sich einzuschränken, scheint logisch. Doch der luxuriöse Lebensstil dieses wohlhabenden Kindes widerspricht den deutlichen Worten, mit denen das Schreiben endet: "[...] happiness depends more upon the internal frame of a person's mind than on the externals in the world. [...] (It) depends wholly upon yourself, for the riches of the Indies cannot purchase it" (zit. Bellamy 23f.).

Gefallen fand Washington an Wohltätigkeitsveranstaltungen. Nordham berichtet, er habe bei solchen Gelegenheiten für Tombolalose durchaus $125 im Jahr ausgegeben. 1766 kaufte er Lose für $150 und strich einen Gewinn von $400 ein (Nordham 20). Allein diese Zahl ist Indiz dafür, dass der Wohltäter Washington auch um sein eigenes finanzielles Wohl besorgt war.

6. George Washingtons Finanzgebaren als Diener des Staates

6.1. Ein Oberbefehlshaber ohne Sold

Diesen Verdacht äußert ebenfalls Marvin Kitman in seinem Buch "George Washington's Expense Account" in Bezug auf dessen Finanzgebaren während seiner Zeit als Oberbefehlshaber der Rebellen im Unabhängigkeitskrieg von 1775-1783. Washington wollte dafür kein festes Gehalt, er erklärte: "I will keep an exact account of my expenses. Those I doubt not (Congress) will discharge, and that is all I desire" (zit.Nordham 25). Kitman stellt seinem Buch nun die Behauptung voran, Washington habe dadurch einen Reibach gemacht und eine perfekte Vorlage für jeden geliefert, der sich als Spesenritter betätigen wolle (15). Sein Erfolgsrezept sei dabei gewesen "Omit nothing. [...] Be specific on the smaller expenditures and vague on the larger ones. [...] Whenever possible, intermingle personal and business expenses. [...] Above all, be reasonable." (17). Zu belegen versucht der Autor diese Annahme mit einer genauen Interpretation der Spesenabrechnung, gewürzt mit ironisch-boshaften Kommentaren. Obwohl der Oberbefehlshaber während des Krieges über 30 Sekretäre beschäftigte, ist dieses Spesenkonto in seiner Handschrift abgefasst - und zwar so akkurat, dass es den Eindruck erweckt, er habe es am Stück geschrieben (19ff.). Auffällig ist unter anderem die Art, wie Washington Ausgaben angibt - beinahe auf jeder Seite tauchen die Zeichen "&c" für den Begriff ‚et cetera' auf (107). Handelt es sich mehrmals um ähnliche Aufwendungen, so heißt es dann nur mehr "ditto", wodurch man beim Lesen leicht den Überblick verliert (242f.). Kitman behauptet, hinter solch unpräzisen Einträgen lasse sich so manche Ausgabe verstecken und deutet an, Washington sei so verfahren (108). Einträge, bei denen nur angegeben wird "To Secret Services[...] $6,170" (232), dazu aber keine Details genannt werden, sind laut Kitman ein weiteres Indiz dafür, dass Washington gerade bei großen Posten schwammig blieb (111). Auffallend häufig belastete der General sein Spesenkonto für Haushaltsausgaben jeder Art, sei es für einen französischen Koch, für Gaumenfreuden wie Limonen (126ff.), Unmengen von Eiern oder teure Milch (158). Zu letzterem bemerkt Kitman, es wäre wohl billiger gewesen, eine Kuh und eine Magd zu kaufen (181). Auch Besuche Marthas und der Kinder im Feldlager des Generals belasteten das Konto (168).

Große Aufmerksamkeit und Spott widmet Kitman dem Alkoholkonsum Washingtons. Dieser liebte Madeira-Wein, der von der gleichnamigen Insel für entsprechend teures Geld importiert werden musste (164). Dutzendfach finden sich Weinbestellungen für Beträge von $600, $900 oder gar $1,950 (137, 143, 166). Kitman schiebt dazu beinahe blasphemische, von Ironie triefende Bemerkungen ein wie: "Much of Washington's continuing good cheer and famed fortitude during the long years of the war [...] may have come from the bottle." oder "It is [...] the mark of a true patriot to be a little stoned" (139, 143). Zum Lebensstil gehörte für Washington auch im Felde luxuriöse Kleidung, denn: "He felt that clothes made the general" (133). Abschließend bemerkt Kitman dazu: "George Washington [...] was willing to make every sacrifice for liberty. Except one: reducing his standard of living" (284). Insgesamt stellte der Oberbefehlshaber für acht Kriegsjahre Spesen in Höhe von fast $449,300 in Rechnung (31), wobei er die Kongress-Kasse noch mit Zinsen von sechs Prozent im Jahr dafür belastete, dass er eigenes Geld hatte vorstrecken müssen (208, 176).

Die Kritik an Kitmans Beurteilungen ist deutlich. Nordham weist den Verdacht zurück, Washington habe sich mit Hilfe des Spesenkontos bereichert und führt aus, Kitmans Absicht sei schlicht, lustig zu sein. Er komme der Wahrheit dabei genauso wenig nahe wie eine Analyse des Spesenkontos, die Gesamtausgaben von nur $54,000 angebe. Am wahrscheinlichsten ist es laut Nordham (26), dass Washington etwa $400,000 in Rechnung stellte - wobei er rund $88,000 für den Haushalt ausgab, was neben dem Unterhalt seiner militärischen Mitarbeiter und Diener genauso den Aufwand für Besucher in den Feldlagern umfasste. Nordham kommt daher zu dem Schluss: "It was the best financial arrangement ever entered into by our federal government. Clearly [Washington] did not gain financially from [he war] at all. He lost much of his personal wealth [...]" (27).

In den Augen des Historikers Marcus Cunliffe kann Kitmans Interpretation des Spesenkontos ebenfalls nicht bestehen. Zwar zeigt sich Cunliffe amüsiert über die Idee, Washington als "the first American expense-account genius" zu portraitieren. Doch auch er stellt fest, Washington habe sich als Oberbefehlshaber nicht bereichert, er habe so gelebt, wie es im 18.Jahrhundert nach allgemeiner Überzeugung einem General zustand und zieht das Fazit: "His wages were more psychological than actual" (138).

6.2. Wie bezahlt man den Präsidenten?

Als George Washington im Jahre 1789 erster Präsident der Vereinigten Staaten wurde, mussten sich der Kongress und er wieder mit dem Thema Geld auseinandersetzen - der Frage nämlich, wie die Funktionsträger des neuen Staates entlohnt werden sollten. Im Gegensatz zum Unabhängigkeitskrieg bekam Washington diesmal ein festes Gehalt. Sein Amt trat er mit einer finanziellen Bürde an - für die Fahrt zur Vereidigung hatte sich der Landedelmann aus Virginia Geld geliehen. Warum er die $500 nicht selbst beglich, dazu schweigen die verwendeten Autoren. In New York, dem ersten Regierungssitz, konnte er zumindest ein Haus beziehen, das ihm der Kongress stellte. "But the place needed some additions to be serviceable. It needed a stable and a wash-house [...] (and) new furniture" ((Nordham 45). Washington gab dafür über $1.800 aus, die der Kongress nicht erstattete. Überhaupt gibt Nordham an, dass Washington mehrfach auf sein Privatvermögen zurückgreifen musste, um als Präsident seinen Lebensstandard halten zu können. Bei einem Jahresgehalt von $25,000 legt dies nahe, dass er doch einen besonders aufwändigen Lebenswandel hatte (45f.). Flexner schreibt dazu: "[...] his presidential salary, put on top of the earnings from his farms and rents [...], had not enabled him to meet his expenses" (IV 371). Um diesen Betrag einordnen zu können ist zusätzlich zu bemerken, dass man Ende des 18.Jahrhunderts nur etwa $2,600 jährlich benötigte, um ein komfortables Leben zu führen (Nordham 4).

Washingtons Umgang mit seinem vierteljährlich ausgezahlten Gehalt, beziehungsweise seine Art der Buchführung weisen erneut Besonderheiten auf: "[...] Washington viewed the presidency as a four-year-commitment that would pay a total salary of $100,000. He felt no need at all to draw the salary in a systematic way" (Nordham 48). Dies führte dazu, dass er beispielsweise im Jahr 1790 weit mehr Geld ausgab, als ihm zustand.[3] Auffällig an den Präsidenten-Jahren ist, dass Washington die alte Gewohnheit des Klagens beibehielt, obwohl er erstmals für einen längeren Zeitraum ein festes Einkommen hatte. Trotz dieser Sicherheit schrieb er 1797 an seinen Bruder Samuel "I perceive by your letter [...] that you are under the same mistake that many others are - in supposing that I have money always at my command" (zit. Nordham 51). Erneut war Washington nicht in der Lage, wirklich zutreffende Aussagen über seine finanzielle Situation zu machen. Je älter er wurde, desto mehr wuchsen seine - objektiv unbegründeten - Geldsorgen, bis er 1799 die Befürchtung äußerte "[...] that he had been reduced to 'a necessity of borrowing from the banks at a ruinous interest.'" (Flexner IV 378).

7. George Washington und sein Finanzgebaren - eine kritische Bilanz

In der Literatur wird George Washington nicht nur jeder denkbare finanzielle Status attestiert - von steinreich bis bettelarm - auch bei der Bewertung seines Umgangs mit Geld findet sich eine geradezu erdrückende Vielfalt von Einschätzungen. Um ein Beispiel zu nennen: Flexner und Nordham loben seine Buchführung, die mit zunehmendem Alter immer präziser geworden sei (Nordham 53). Kitman (197) dagegen berichtet, ab 1771 habe Washington oftmals seltsame kryptische Symbole in seinen Aufzeichnungen verwendet.

Was sich bei der Betrachtung von Washingtons Finanzgebaren jedoch heraus kristallisiert, sind seine Liebe zu Zahlen, Mut und Chuzpe genauso wie Neugierde und Spielleidenschaft. Gepaart mit seinen Leitbildern, "römische(n) Tugenden" (Heideking 51) wie Pflichtbewusstsein und Selbstbeherrschung, führen diese Eigenschaften jedoch zu ständigen, nicht aufzulösenden Widersprüchen in seinem Verhalten. Washington verdammte das Spielen und das Schuldenmachen, doch beides tat er selbst. Er gab die systematische Buchführung als seine Maxime an, schien aber dennoch immer wieder den Überblick zu verlieren. Er, der Meister der Arithmetik, schrieb Ende 1789 an einen Freund "I find it no easy matter to keep my expenditures within the limits of my receipts" (zit. Nordham 80). Dann wieder sprach er von der "[...] simplicity of rural life." auf Mount Vernon, beschrieb seinen Lebensstil aber gleichzeitig als: "The expensive manner in which I live [...]"(zit. Nordham 83).

George Washington war ein selbstloser Wohltäter und ein selbstverliebtes fashion-victim. Er war ein cleverer Spekulant und ein vergnügungssüchtiger Hypochonder genauso wie ein Patriot, der sein Land liebte und verteidigte. Welches Bild der Betrachter von ihm bekommt, bestimmt immer der Blickwinkel: man kann einen strahlenden Helden in Washington sehen oder einen charakterschwachen Dandy. Für jede Eigenschaft werden sich Belege finden, immer wird aus den Mosaiksteinchen der Beschreibungen das erwartete Bild entstehen. Es scheint beinahe, als betrachte man ein Chamäleon, das sich sekundenschnell an seine Umgebung anpasst. Und ob man George Washington nun kritisiert oder als "priceless national treasure" (Nordham ix) verehrt - letztendlich offenbart sich durch sein Finanzgebaren nur eines, sei es noch so banal: "It just proves that he was human" (Kitman 283).

8. Bibliographie

Bellamy 1951 Bellamy, Francis Rufus: "The Private Life of George Washington", New York 1951
Cunliffe 1959 Cunliffe, Marcus: "George Washington - Man and Monument", London 1959
Cunliffe 1971 Cunliffe, Marcus: Review of "George Washingtons Expense Account" in: The Journal of American History, Volume LVIII, Menasha 1971, S. 138
Flexner I 1965 Flexner, James Thomas: "George Washington - The Forge of Experience (1732-1775), Boston / Toronto 1965
Flexner III 1969 Flexner, James Thomas: "George Washington and the New Nation (1783-1793)", Boston / Toronto 1969
Flexner IV 1969 Flexner, James Thomas: "George Washington - Anguish and Farewell (1793-1799)", Boston / Toronto 1969
Freeman 1948 Freeman, Douglas Southall: "George Washington - A Biography", New York 1948
Heideking 1995 Heideking, Jürgen: "George Washington - Schöpfer der amerikanischen Präsidentschaft" in: Heideking, Jürgen (Hrsg.): "Die amerikanischen Präsidenten", München 1995, S.49-64
Kitman 1970 Washington, George & Kitman, Marvin: "George Washingtons Expense Account", New York 1970
Nordham 1982 Nordham, George Washington: "George Washington and Money", Washington 1982
Raeithel 1987 Raeithel, Gert: "Washington und einige seiner Bewunderer", Konstanz 1987
Waggoner 1990 Waggoner, John M.: "George Washington, Land Baron" in: Waggoner, John M.:"Money Madness", Homewood 1991, S. 51-54
Wilstach 1916 Wilstach, Paul:"Mount Vernon - Washington's Home and the Nation's Shrine", Indianapolis 1916

Literaturverzeichnis

  1. Das Geburtsjahr 1732 gilt unter Berücksichtigung einer Kalenderreform (Anm. der Verfasserin); vgl. dazu auch Cunliffe 172.[zurück]
  2. Allein zum angeblich ersten Liebesbrief, den George an Martha schrieb, gibt es Dutzende Analysen (Anm. der Verfasserin) - vgl. auch Freeman 1948, S.405f.[zurück]
  3. Nordham 47 und 49 - es handelte sich um einen Betrag von rund $7,000 (Anm. der Verfasserin).[zurück]
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