Deutsch-Amerikanischer Almanach

Nina Gartz
Indianer und Alkoholmißbrauch

2.Der betrunkene Indianer als verachtenswerte und lächerliche Figur

a.Das Kopfüber-Motiv

Während man zur Kolonialzeit "the Indian menace" fürchtete und den Indianer in der Literatur auch als Angst einflößend darstellte, wichen mit der Annahme der Degeneration die furchtsamen Kolonisten den furchtlosen Amerikanern. "Zwar traute man auch den heruntergekommenen Elendsgestalten noch Mordlust und Blutgier zu - auch realiter [...] doch herrschte das Bild des dreckigen, zerlumpten, häßlichen und betrunkenen Indianers vor" (Lutz 190f). Mit der Verachtung und dem Verlachen der Indianer war ein angenehmes Gefühl der inneren Sicherheit verbunden.

Eine beliebte Methode, die verachtenswerte Unterlegenheit der indianischen Rasse unter Beweis zu stellen, scheint das "Kopfüber-Motiv" gewesen zu sein. In Ernest Hemingways Kurzgeschichte "Ten Indians" aus der Reihe der Nick Adams Stories112 stoßen der junge Nick und die Nachbarsfamilie Garner während einer Fahrt von der Stadt nach Hause am Tag der Unabhängigkeitsfeier auf neun betrunkene Indianer.113 Sie würden sie zweifellos nur passieren, läge nicht einer kopfüber (face down) mitten im sandigen Weg. So aber ist der Familienvater Joe Garner gezwungen, den Indianer angewidert aus der Spur zu schaffen. "Them Indians", kommentiert die kopfschüttelnde Mrs. Garner das Geschehen (27f). Nachdem sie nach dem kurzen Zwischenfall die Fahrt wieder aufgenommen haben, diskutieren die Passagiere zynisch über die Parallelen zwischen unter die Räder gekommenen Stinktieren und Indianern. Zu Hause angekommen streift Nick sich seine Schuhe von den Füßen und schließt sich seinem Vater beim Fischen an. Offensichtlich hat sich die Familie Adams den primitivistischen Lebensstil erhalten, der "Hemingway's doomed Indians" (Owens 81) vor langer Zeit abhanden gekommen ist. "I went for a walk up by the Indian camp", erwähnt der Vater. "The Indians were all in town getting drunk" (31).

Das Kopfüber-Motiv findet sich auch in dem Western The Comancheros von 1961. Dort landet der stark berauschte Häuptling Iron Shirt (George Lewis) kopfüber in einem Suppenteller und verdankt sein Leben lediglich der Intervention des Gastgebers, der ihn, ohne ihn tatsächlich zu berühren, mit seinem Gehstock aus dem Teller hievt: "It would be a shame to have our guest of honor drowned in a plate of soup", lautet die ironische Bemerkung. Selbst der indianische Autor Sherman Alexie schenkt dem Kopfüber-Motiv einige Zeilen in der dem Buch The Lone Ranger and Tonto Fistfight in Heaven entnommenen Kurzgeschichte "Every Little Hurricane". Bei einem Powwow ertrinkt ein alter alkoholisierter Indianer in einer Pfütze, die sich zwischen Eisenbahngleisen gebildet hatte. "Just passed out and fell facedown into the water" (7) (Hervorhebung durch mich!).

b.Der betrunkene Indianer als Comic Relief im Film

Oft sollte der Indianer als komische Figur auch Abwechslung zur ansonsten ernsthaften Handlung der Western schaffen. Drums Along the Mohawk von 1939 ist ein Beispiel für den Einsatz von Native Americans als comic relief. Der Film handelt von dem Farmerehepaar Martin, das zur Zeit des Unabhängigkeitskrieges im Mohawk Valley unter den Angriffen der von der britischen Kolonialmacht angestachelten Iroquois zu leiden hat. In einer Szene dringen zwei betrunkene Indianer in das Haus der alten Mrs. McKlennan ein, um es zu plündern und anschließend samt Insassin zu verbrennen. Die alte Dame aber wirkt wenig beeindruckt, beschimpft die beiden als betrunkene Banditen und schüchtert sie soweit ein, daß sie die auf ihrem Bett thronende Frau wie zwei geprügelte Hunde aus dem Haus tragen, bevor sie es abfackeln. Auch in She Wore a Yellow Ribbon von 1949 sorgt ein komischer Indianer für kurzzeitige Erleichterung innerhalb der brisanten Ereignisstruktur. Ein Massaker zwischen weiß und rot steht kurz bevor. Für letzte Friedensverhandlungen sucht Captain Nathan Brittles (John Wayne) den Indianerhäuptling Pony that Walks (Chief John Big Tree) auf. Pony ist ein zahnloser und offensichtlich machtloser Chief, der seine jungen Stammesbrüder nicht mehr im Zaum halten kann. Auch seine Stimme scheint er nicht im Zaum halten zu können. Während des gesamten Dialogs schreit er die Worte in gebrochenem Englisch und lallend heraus: "I am a Christian! Halleluja! [...] You come with me! We hunt buffalo! Get drunk together! Halleluja! Halleluja!" Anscheinend hält er den Alkoholkonsum für das eigentliche Dogma des Christentums, wie Regina Eder vermutet (siehe Seite 71).

c.Söhne an Alkohol zugrunde gegangener Väter

"We've all had a relative who is considered alcoholic", erzählt eine Krankenschwester im Interview mit Dorris. "And in some families you tend to go the same way, or you want nothing to do with it. It's hard to find a middle road" (siehe Dorris 195). Auch den drei indianischen Protagonisten in den Filmen Three Warriors (1977), Thunderheart (1992) und dem erfolgreich verfilmten Roman One Flew Over the Cuckoo's Nest (1962) fällt es schwer, angesichts des Alkoholtodes ihrer Väter einen Mittelweg zu finden. Der Teenager in Three Warriors, der junge Mann in Thunderheart und der ältere Mann in Cuckoo's Nest, sie alle empfinden Wut und Scham sowohl für die Alkoholsucht und den frühen Tod ihrer Väter als auch infolgedessen für die gesamte indianische Ethnie und ihre eigene indianische Identität. Sie leben in einer weißen Welt und leugnen ihre Wurzeln, ein jeder auf seine Weise. Gegen Ende jedoch finden sie dank weiser Lehrer wieder zu ihren Wurzeln zurück und versöhnen sich mit ihren Vätern. Die Filmemacher und Autoren sind um authentische Darstellungen indianischen Lebens bemüht. Die Hauptrollen sind mit indianischen oder zumindest teilweise indianischen Schauspielern besetzt; die Charaktere sind vielschichtig und im Gegensatz zu manchen weißen Figuren positiv gezeichnet.

Der 14-jährige Michael (McKee Redwing) in Three Warriors lebt seit dem durch Alkohol bedingten Unfalltod seines Vaters mit seiner Familie in der Stadt. Einzig der Großvater (Charles White Eagle) harrt noch im Reservat aus. Mit einer List - er gibt vor, sterbenskrank zu sein - lockt er die Familie jedoch ins Reservat zurück. Michael steht dem Ausflug in seine frühe Kindheit und dem Großvater anfangs ablehnend gegenüber; nach und nach aber läßt er sich von den Gebräuchen seiner Vorväter, mit denen ihn sein gewitzter Großvater vertraut macht, in Beschlag nehmen. Eingebettet in eine Kriminalgeschichte, in deren Verlauf Michael und sein Großvater einer Bande von Pferdedieben das Handwerk legen, zeigt der Film die Transformation Michaels zum stolzen Indianer. Am Schluß kehrt er nur widerwillig in die Stadt zurück.

Raymond Levoi (Val Kilmer) in Thunderheart ist der Sohn einer Weißen und eines Sioux-Halbbluts. In Rückblicken und aus Erzählungen erfahren wir, daß sein Vater - ein einstiger Stahlgerüstbauer - sich zu Tode trank, als Levoi gerade sieben Jahre alt war. "I was ashamed of him, so I buried him", gesteht der überzeugte Nichtraucher und Nichttrinker. Levoi, der fortan mit einem weißen Stiefvater, den er "Vater" nennt, aufwuchs, verleugnet sein indianisches Erbe selbst vor seinem Arbeitgeber, dem FBI. Trotz seiner Vertuschungsbemühungen stößt man bei Stammbaumrecherchen auf sein indianisches Blut, und er wird zur Aufklärung eines Mordes vor dem Hintergrund der indianischen Bürgerrechtsbewegung der 1970er Jahre in ein erbärmliches Reservat in South Dakota beordert.114 Daß sich seine Scham nicht nur auf den Vater, sondern auf alle Indianer bezieht, zeigt seine Überheblichkeit gegenüber der vermeintlich hinterwäldlerischen und vom Aberglauben gekennzeichneten Lebensweise der Sioux. Schon rein äußerlich versucht er sich vom Holzfällerhemd- und Jeans-Look der Reservatsindianer abzuheben. Er tritt yuppiehaft im Anzug mit Krawatte, mit Ray Ban-Brille, Rolex-Uhr, fabrikneuen Schuhen und Pomade im blonden Haar auf. Im brutalen Umgang mit den Indianern versucht er übereifrig, seine Loyalität gegenüber den Vereinigten Staaten, seinem Volk, unter Beweis zu stellen. So unterbricht er zum Beispiel harsch eine rituelle Schwitzzeremonie der Sioux. Aber er hat weise Lehrer, die ihn trickster-haft an sein indianisches Erbe heranführen und - wie Levoi sich ausdrückt - den Vater wieder ausgraben. Seine Transformation erscheint allerdings zu rapide, um glaubhaft zu wirken. Er wird zum "instant Indian", dem in Visionen eine vergangene Existenz als Wounded Knee-Krieger Thunderheart suggeriert wird. In der bürgerkriegsartigen Auseinandersetzung zwischen den sogenannten Traditionalisten115 und regierungsfreundlichen Indianern schlägt er sich deutlich auf die Seite der ersteren, deckt ein Komplott in Verbindung mit illegalem Uranabbau auf und wird so zum Heilsbringer für "seinen" Stamm. Auch er verläßt das Reservat nach Beendigung seines Auftrags nur widerwillig.

Während Levoi durch vollkommene Assimilation an die weiße Gesellschaft gegen seine indianischen Wurzeln angeht, findet der indianische Erzähler Chief "Broom" Bromden, der den Leser durch Ken Keseys Cuckoo's Nest führt, einen anderen Weg, sich zu distanzieren. Er verstummt, nimmt die Geschehnisse um sich herum als eine Art participant observer wahr und verbannt jegliche Gedanken an negative Begebenheiten der Vergangenheit aus seinem Gedächtnis. War er einst hoffnungsvoller Football-Spieler und College-Student, so vegetiert er nun seit Jahren in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt, in die er sich selbst eingewiesen hat, vor sich hin. Nur dem neuen Patienten McMurphy gegenüber bricht er sein Schweigegelübde und er erzählt in kurzen, bruchstückhaften Rückblicken vom langsamen Verfall seines Vaters, eines Stammeshäuptlings. Verdiente der sich einst seinen Namen The-Pine-That-Stands-Tallest-on-the-Mountain redlich, so ist er in späteren Jahren nur noch ein Schatten seiner selbst. In den Augen seines Sohnes verliert er an Größe, schrumpft buchstäblich: "He was too little anymore. And he was too drunk, too" (187). Er kann sich nämlich in der Auseinandersetzung mit Energiekonzernen, die am Columbia River einen Staudamm errichten wollen und damit die traditionelle Lebensgrundlage des Stammes, den Lachsfang, zerstören würden, nicht durchsetzen. Seine Stammesgenossen und seine dominante weiße Frau erliegen den Verlockungen des schnellen Dollars und untergraben seine Autorität. An diesem Machtverlust zerbricht der einstige Häuptling. Er wird zum Alkoholiker. "[E]very time I see him put the bottle to his mouth he don't suck out of it, it sucks out of him" (188). Der Alkohol zehrt an seiner Lebenskraft. Er erblindet und stirbt schließlich fernab in der Großstadt Portland. Der Machtverlust des Vaters hat aber auch negative Auswirkungen auf den Sohn: "[W]hen I saw my Papa start getting scared of things, I got scared too", so erklärt Bromden die Einbuße seines eigenen Selbstwertgefühls (147). McMurphy sieht es als seine Mission, dem Indianer wieder zu alter Größe zu verhelfen: "[H]e was going to get me big again" (189). Der Indianer soll nicht an demselben System zerbrechen wie sein Vater.116 Er soll Widerstand leisten. Für dieses Ziel wird McMurphy sogar zum Märtyrer, der sein eigenes Leben opfert. Am Ende des Romans kann Bromden durch einen beinahe übermenschlichen Kraftakt aus der Anstalt entkommen. Er wird seinen Stamm aufsuchen "to see if there's any of the guys I used to know back in the village who haven't drunk themselves goofy" (272).117

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