Deutsch-Amerikanischer Almanach

Nina Gartz
Indianer und Alkoholmißbrauch

8.Erziehung und soziale Interaktion

Der Stoizismus ist eine der meist genannten Charakteristika, die man Indianern zuschreibt. Der Indianer besäße oder zeige zumindest keine Emotionen. Der Besitz von Gefühlen kann wohl niemandem abgesprochen werden. Was jedoch den zweiten Punkt betrifft, so hat die Scheu, Emotionen zu offenbaren, ihren Ursprung wahrscheinlich in der vielen Indianerstämmen gemeinen Kindererziehung. Dies haben Bacon, Barry et al. 1976 in ihrer Studie "Cross-cultural Evidence that Dependency Conflict Motivates Drunkenness" zu beweisen versucht (siehe Hamer 128ff / Rorabaugh 245f / Mail & MacDonald 33f). Sie stellten fest, daß die hohe Intensität der Mutter-Kind-Beziehung bei Indianern wesentlich länger anhält als in westlichen Gesellschaften. Das Kind entwickelt so eine starke Abhängigkeit. Folgt ein weiteres Kind, werden elterliche Aufmerksamkeit, körperliche Nähe und emotionale Wärme abrupt entzogen und bedingungslose Unabhängigkeit wird - besonders bei Jungen - an der Stelle der bisherigen Abhängigkeit gefordert.45 Die Mütter reiben sogar ihre Brüste mit unangenehm schmeckenden Substanzen ein46, und die Kinder werden durch Androhung und Vollzug extremer Strafen - wie zum Beispiel Nahrungsentzug - verängstigt. Die Folge dieses inkonsequenten Verhaltens ist ein traumatischer Konflikt zwischen Abhängigkeit und Unabhängigkeit, generelles Mißtrauen gegenüber Erwachsenen und - daraus folgend - eine Weigerung, Gefühle offen zu zeigen (reticence ethic) (Robbins 181), da man ansonsten weitere Zurückweisungen zu befürchten hat. Alkohol nun erlaubt aber die zeitweise Offenbarung von Empfindungen. Und da diese Empfindungen die Grundlage sozialer Interaktion sind, darf von Alkohol in einem weiteren Schritt auch behauptet werden, daß er soziale Interaktion erleichtert und dadurch fördert. Alkohol ist ein akzeptiertes Ventil für das Geben und Nehmen von Aufmerksamkeit, körperlicher Nähe und emotionaler Wärme im gesellschaftlichen Kontext. Oft wurde angemerkt, daß die betrunkene Persönlichkeit der Indianer in absolutem Kontrast steht zu ihrer nüchternen. Sind sie an und für sich schüchtern, schweigsam und introvertiert, so mutieren sie im Rausch zu selbstbewußten, lauten und extrovertierten Zechkumpanen (siehe Honigmann, "Perspectives" 270 / Van Stone 36f / Lemert 53). Die Potawatomi zum Beispiel genehmigen sich einen "drink of courage" (Hamer 117), um ihre im nüchternen Zustand überhandnehmenden Hemmungen zu überwinden. Alkohol ermöglicht auch das Ausleben sexueller Triebe, die im nicht betrunkenen Zustand unterdrückt werden. Horton berichtet, daß bei den Tarahumara ohne Alkohol das Fortbestehen des Stammes gefährdet wäre: "[B]y means of tesvino chiefly the race is kept alive" (252).

9.Time Out: Lizenz für Aggression und Promiskuität

Wurde im vorangegangenen Kapitel Alkohol noch lediglich als Ventil für unterdrückte Emotionen vorgestellt, so erhält er in diesem Kontext einen weiteren kathartischen Aspekt: als Katalysator für gehemmte Aggression und Promiskuität. Generell geht man davon aus, daß die frühe religiöse und zeitgebundene Nutzung von Alkohol drastische Auswüchse desselben (wie Aggression und Promiskuität) zu zügeln vermochte (siehe Weibel-Orlando 294 / Weatherford 213 / Wax 152f). Tatsächlich aber gibt es Anzeichen dafür, daß schon bei den Azteken Alkohol ein ernstzunehmendes gesellschaftliches Problem darstellte (siehe Wissler 271 / Driver 111 / Keen 497). "[Alcohol was] not so much poured out for the supernaturals as poured into the celebrants", behauptet David Mandelbaum in seinem Aufsatz "Alcohol and Culture" (23). Um der grassierenden öffentlichen Trunkenheit Einhalt zu gebieten, griff man zu drastischen Mitteln: Schon beim ersten Vergehen durch Angehörige einer höheren Bildungsschicht fand die Todesstrafe Anwendung. Die Hinrichtung wurde durch Prügel, Strangulieren, Erschießen (mit einem Pfeil) oder Verbrennen öffentlich vollzogen. Normalbürger mußten sich beim ersten Vergehen lediglich einer Prügelstrafe unterziehen. Beim zweiten Vergehen drohte ihnen aber ebenfalls der Verlust des Lebens. Nur alten Menschen beider Geschlechter gestand man zu, nach Belieben zu trinken. Als Cortés in Amerika eintraf, setzte er diese harten Strafen außer Kraft, und schon bald nahmen die negativen Begleiterscheinungen unter den Azteken erheblich zu (siehe Wissler 271 / Waldman 61 / Weatherford 213 / Keen 294 / 497 / Driver 111 / 393f).

Auch heute fehlen in manchen indianischen Gruppen Institutionen der Kontrolle und somit effektive Sanktionen gegen betrunkene Entgleisungen. Entweder haben sie dort nie existiert, da die Indianer erst durch Europäer in Berührung mit Alkohol kamen, oder sie sind wie bei den Azteken Relikte der Vergangenheit. Dieses Konzept der fehlenden Kontrolle ist aber längst nicht auf alle indianischen Untergruppen anwendbar. Field sieht einen direkten Zusammenhang zwischen dem Organisationsgrad einer Gesellschaft auf der einen Seite und dem Ausmaß von Intoxikation, Aggression und Promiskuität auf der anderen Seite (siehe Mandelbaum 27f / Mail & MacDonald 33ff / Levy & Kunitz 24 / 31). "[S]ocieties, like individuals, get the sorts of drunken comportment they allow" (MacAndrew & Edgerton 173). Überwiegt die Angst vor Strafe durch vorhandene Kontrollinstitutionen (was in sogenannten "apollinischen" oder "asketischen" Gesellschaften der Fall ist), wird nicht (oder zumindest nicht öffentlich) getrunken. Überwiegt aber die Angst, die durch das Unterdrücken von aggressiven und sexuellen Trieben erzeugt wird (was auf sogenannte "dionysische" oder "hedonistische" Gesellschaften zutrifft), trinkt man (siehe Lamarine 148f / Horton 204 / Levy & Kunitz 24 / 31).47 Es handelt sich also um ein Tauziehen dieser zwei Ängste. Brody ist von einem Übergewicht der Angst vor Sanktionen in der skid row überzeugt. Zweiterem Typus ordnet er lediglich die Reservate, nicht aber die Städte zu (siehe Seiten 220 / 237f).

In der "dionysischen" oder "hedonistischen" Variante der indianischen Gesellschaft gibt es scheinbar eine Tendenz, im alkoholisierten Zustand zustande gekommene Verfehlungen, die im nüchternen Zustand moralisch unentschuldbar gewesen wären, zu entschuldigen oder einfach zu ignorieren. Man genehmigt eine Auszeit (time out period48) und erteilt somit eine an die Bedingung der Intoxikation geknüpfte Absolution. "Offenses given in drunkenness are not taken seriously as a rule and damages done are repaired or paid with admirable equanimity", lautet schon die Beobachtung von Franziskaner-Patern im Jahr 1910 (zitiert in Levy & Kunitz 74). Weiße Vorurteile, die besagen, daß man von Indianern ohnehin nur ein Minimum an Einhaltung der Normen der dominanten Gesellschaft erwarten kann und daß auf indianische Trunkenheit quasi automatisch Aggression und Promiskuität folgen, erleichtern den Indianern diesen Schritt. Wieder ergibt sich eine self-fulfilling prophecy (siehe Hamer 121f). Bereits in der Vergangenheit - wie MacAndrew und Edgerton mit Hilfe einer Inhaltsanalyse der Tagebücher von Missionaren und Pelzhändlern nachweisen konnten - wies man dem Alkohol und indirekt oder direkt dem weißen Mann die Schuld für Verbrechen zu und projizierte damit die eigene Verantwortung auf andere. Dem Alkohol wurde eine Sündenbockfunktion übertragen; der Kontakt mit Europäern wurde zum "trigger factor" (Martin 64). In den Jesuit Relations ist ein Indianer mit folgender Aussage verewigt: "It is thou [...] and thine, who killed him; for, if thou hadst not given us brandy or wine, we would not have done it [...] it is not I who wounded thee, but the drink which used my arm" (zitiert in Dailey 125). Indianer gaben an, unter Alkoholeinfluß "besessen" oder "nicht sie selbst" gewesen zu sein. Im nüchternen Zustand behaupteten sie, keine Erinnerung mehr an die Missetaten zu haben. Es gibt auch Anzeichen dafür, daß einige Indianer den Freibrief-Charakter von Vergehen im betrunkenen Zustand mißbrauchten, indem sie sich vor einer antizipierten Auseinandersetzung bewußt betranken oder betrunkenes Verhalten vortäuschten, um später eine Rechtfertigung aufweisen zu können und so der Bestrafung zu entgehen. "It is a somewhat common custom amongst them when they have enemies to get drunk and afterwards go and break their heads or stab them to death, so as to be able to say afterwards that they committed the wicked act when they were not in their senses", merkte ein französischer Missionar in Montreal an (zitiert in Barr 24f). Diese Rechnung ging nicht immer auf. Es gibt Berichte von unverhältnismäßigen Vergeltungsmaßnahmen für weiße Mordopfer, von der Todesstrafe, über Lynchmorde durch wütende Mobs, bis hin zur Zwangsumsiedlung ganzer Stämme (siehe Linton 83 / Debo 275 / Dailey 121). Auch in der Gegenwart spricht einiges gegen die Behauptung, alkoholisierte indianische Straftäter seien zum Zeitpunkt der Straftat von Sinnen gewesen. Es handelt sich also nicht um "toxically disinhibited brains operating in impulse-driven bodies" (MacAndrew & Edgerton zitiert in Bachman 52). Levy und Kunitz beschreiben den geplanten und zielgerichteten Charakter der gewaltsamen oder sexuellen Übertretungen bei den Navajo, die sogar oftmals mit weniger Gewalt auskommen als vergleichbare nüchterne Delikte, was in direktem Kontrast zur weißen Bevölkerung steht, in der alkoholisierte Gewalttaten von besonderer Intensität gekennzeichnet sind. In einer etwas überspitzten Formulierung behaupten sie, daß Navajo-Männer ihre Frauen nicht schlagen, weil sie betrunken sind, sondern daß sie sich betrinken, damit sie ihre Frauen schlagen dürfen (siehe Seiten 103f / 187f; siehe auch Dailey 122).49 Hamer macht dieselbe Beobachtung bezüglich der Potawatomi-Frauen, die sich betrinken, um sich ungehemmt weißen Männern hingeben zu können (siehe Seite 108). Lurie geht sogar noch einen Schritt weiter, indem sie behauptet, Aggression sei eine Eigenschaft, welche die Indianer für gewöhnlich den Weißen zuschreiben. Daher müssen sie sich, bevor sie ihren Aggressionen freien Lauf lassen, betrinken, um nicht in letzter Konsequenz wie ein Weißer zu handeln (siehe Seite 133). Die gemeinhin akzeptierte Kausalität (Trinken > Aggression / Promiskuität) wäre somit ins Gegenteil verkehrt.

Die Gewährung von Auszeiten im Alkoholrausch hat aber eine konstruktive Seite, denn sie erhält im weiteren Sinne die soziale Harmonie. Antwortete man auf alkoholisierte Entgleisungen immer mit rechtlicher oder tatsächlicher Gewalt, würde die gesellschaftliche Eintracht erheblich gefährdet (siehe Hamer 149). So aber reagieren die Mitmenschen mit Empathie, denn auch sie waren mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits an Eskapaden im betrunkenen Zustand beteiligt und konnten erleichtert das Ausbleiben von Sanktionen feststellen. Ein strafendes Eingreifen von ihrer Seite wäre nur wenig glaubwürdig (siehe Lemert 64 / Lurie 132). So besagt auch die normative hypothesis (Rorabaugh 243), daß die time out period seit ihrer Erfindung fest in der gesellschaftlichen Ordnung mancher Gemeinschaften verankert ist.

10.Statussymbol

Während die Branntweinbrennerei-Betreiber Spirituosen unter geringstem zeitlichem und materiellem Aufwand herstellen konnten, war Alkohol für die Indianer von Beginn an ein exklusiver Luxusartikel. Besonders begehrt war und ist hochprozentiger Alkohol (siehe Hamer 112). Schon zur Zeit des Pelzhandels genossen Native Americans, die einen besonders guten Deal mit den Händlern aushandeln konnten, großes Ansehen als sogenannte "trade chiefs" (siehe Hamer & Steinbring 22). Und auch später stellte Alkohol ein Prestigeobjekt dar. Bei den Navajo war es in der frühen Phase der Reservatsbildung lediglich den in der sozialen Hierarchie oben angesiedelten ricos möglich, Alkohol von Schmugglern zu erwerben (siehe Levy & Kunitz 184f). Lemert und Van Stone bestätigen in ihren in den 1970er Jahren durchgeführten Studien für verschiedene indianische Gemeinden den hohen Stellenwert von hochprozentigem Alkohol, der weniger leicht erhältlich ist als schwachprozentiger Wein oder Bier (siehe Lemert 53 / 60 / Van Stone 33). Lemert berichtet sogar von Fällen des Etikettenschwindels, um den in Wirklichkeit niedrigen Ethanol-Gehalt des Getränkes zu vertuschen. Daß Alkohol die Position eines Statussymbols einnimmt, widerspricht direkt der im Zusammenhang mit der Eskapismus-Theorie angeführten anomy theory, die ja besagt, daß Menschen zum Alkoholkonsum neigen, wenn es ihnen nicht gelingt, Zugang zu den Statussymbolen der Gesellschaft zu finden.

Alkoholkonsum war und ist in die Tradition des Miteinander-Teilens, des gegenseitigen Gebens und Nehmens (reciprocity), bei den Indianern eingebunden (siehe Lurie 135f). Großzügigkeit von seiten derer, die sich den Erwerb von Spirituosen finanziell leisten können, ist eine Kardinalstugend. Auf der anderen Seite wird die dankbare Annahme durch diejenigen, die den unteren Schichten angehören, vorausgesetzt. Ablehnung von Alkoholgeschenken ist gleichbedeutend mit einem Schlag ins Gesicht. Die Botschaft lautet: "Ich erkenne Deinen überlegenen ökonomischen Status nicht an" (Gordon MacGregor, Warriors Without Weapons (1945) siehe Dorris 89). Ein Fallbeispiel liefert Richard Howard Robbins mit seinem Aufsatz "Alkohol and the Identity Struggle. Some Effects of Economic Change on Interpersonal Relations" aus dem Jahre 1979. Am Beispiel Scheffervilles in Quebec zeigt er auf, wie Alkohol - nach der Einführung der Lohnarbeit und der Abschaffung der traditionellen Jagd in den späten 1950er Jahren - die Jagdbeute als Prestigeobjekt ersetzte. Denjenigen Native Americans, denen es gelang, im neuen Wirtschaftssystem Fuß zu fassen, stand Alkohol im Überfluß zur Verfügung. Den Arbeitslosen oder nur Teilzeitbeschäftigten blieb der Zugang zu Spirituosen größtenteils verwehrt. Bei gemeinsamen Trinkanlässen, die als Foren für den Statuskonflikt dienten, taten sich die Ärmeren durch laute Prahlerei hervor; die Reicheren teilten ihre Alkoholvorräte und verfügten somit über ein Mittel der stillen Angabe.

Gegenwärtig verliert die Rolle des Alkohols als finanzielles Prestigeobjekt jedoch an Bedeutung. Selbst hochprozentiger Alkohol ist fast überall erschwinglich geworden. Darüber hinaus verfügen Indianer zunehmend über Cash und Autos, so daß Spirituosen ihren Weg über die verbesserte Infrastruktur selbst in die entferntesten und ärmsten Winkel der Reservate finden (siehe Levy & Kunitz 67 / 139f).

11.Machtverlust und Machtphantasien im Zuge veränderter Lebensbedingungen und Geschlechterrollen

"[P]eople drink in order to feel powerful", so lautet die Essenz der Machthypothese (power hypothesis) (Rorabaugh 244).50 Dieses Phänomen trifft allerdings nur auf Menschen zu, denen sich keine alternativen Routen zur Autorität bieten. Besonders indianische Männer mußten im Zuge der Akkulturation einen erheblichen Statusverlust verbuchen. Die traditionellen Wege, Macht unter Beweis zu stellen, wurden gekappt. Vor dem Eintreffen der Europäer hatte das starke Geschlecht sich an der eigenen Rolle in Kriegen, bei Überfällen und auf der Jagd messen lassen. Ruhm war quantifizierbar: durch die Anzahl der Skalps, den Wert der Diebesbeute oder die Anzahl der Beutetiere. Heutzutage verschafft der Blick auf die Lohnabrechnung (im günstigsten Fall) oder die Arbeitslosenschecks kaum noch die Genugtuung der alten Tage. Es mangelt an beruflichen Qualifikationen und am nötigen Arbeitsethos, was einen Erfolg in der weißen Arbeitswelt unmöglich macht. Die drinking party wird zum Ersatz für die war, raiding oder hunting party, zum Ventil für unbeachtete maskuline Machtansprüche (siehe Mail & MacDonald 31ff / Wissler 270).51

Frauen erfuhren im Gegensatz zu ihren Männern im Zuge der Akkulturation eine Aufwertung ihres Status. Wie in der Vergangenheit haben sie die Autorität in der häuslichen Sphäre inne. Darüber hinaus stellen sie auch einen Teil des Einkommens, indem die Familie staatliche Gelder in Relation zur Anzahl der geborenen Kinder erhält. Jeanette Grey Eagle äußert sogar den Verdacht, daß manche einzig und allein aus dem Grund Kinder zur Welt bringen, um die finanziellen Reserven ihrer Familien aufzustocken (siehe Dorris 159). Zudem berichtet Robbins von der kanadischen Praxis, Sozialhilfeschecks auf den Namen der Frau auszustellen, da man annimmt, daß das Geld in ihrer Hand sicherer ist vor Missbrauch (siehe Seite 164). Ein weiterer Aspekt ist die Beliebtheit indianischer Frauen bei weißen Männern. Noch immer gilt die Anziehungskraft des Exotischen. Manche Frauen nützen diesen Beliebtheitsgrad anscheinend aus, um an ihren Männern für in der Vergangenheit erduldetes Unrecht Rache zu nehmen. Sie erzeugen Eifersucht in ihren Gatten und äußern sich auch sonst despektierlich über sie. Vor dieser Schmach flüchten sich die Männer in Alkohol-induzierte Machtphantasien, in denen die alte Rangordnung noch ihre Gültigkeit besitzt (siehe Hamer 109 / 120f / Maynard & Twiss 165 / Lemert 62).

Aber nicht nur der Statusverlust gegenüber ihren Frauen, sondern auch das Ungleichgewicht der Machtverhältnisse zwischen Indianern und Weißen nagen am Selbstbewußtsein der Männer. Einzig in der gemeinsamen Trinksituation scheint man sich auf gleichberechtigter Ebene näherkommen zu können. Der Indianer ist hier imstande "to talk back", und das, ohne die geltende soziale Ordnung, die den Indianer in einer unterlegenen Rolle sieht, ernsthaft in Frage zu stellen. Der Auszeitcharakter der Trinkepisoden ist auch in diesem Zusammenhang relevant. Um die Statusgleichheit eindeutig zu demonstrieren, bleibt dem Native American die Möglichkeit, dem weißen Zechkumpanen einen Drink zu spendieren (Linton 251; siehe auch Hamer 122 / 138 / 144 / Hamer & Steinbring 293).52

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