Deutsch-Amerikanischer Almanach

Nina Gartz
Indianer und Alkoholmißbrauch

II.Eine Untersuchung des Drunken Indian-Stereotyps in Literatur und Film

A.Die Theorie der Indian Degeneracy als Rechtfertigungstrategie

Oft wurde der von den Europäern importierte Alkohol als Waffe bezeichnet, die bewußt zur Vernichtung der Indianer eingesetzt wurde. So schreibt zum Beispiel Lutz: "Statt Hotchkiss-Kanonen und Trommelrevolvern richtete [...] Alkohol [...] unter den Ureinwohnern Nordamerikas wahre Massaker an" (110). Und in einem CIA Report aus dem Jahre 1877 wird Alkohol im Zusammenhang mit den Indianern als "rank poison" bezeichnet (zitiert in Linton 82). Ironischerweise fand aber anscheinend nicht nur der Alkohol selbst, sondern auch das Bild vom Alkohol konsumierenden Indianer als eine Art Werkzeug Verwendung. Die Idee der "Indian degeneracy" (Berkhofer 38 / 91) gekoppelt mit dem Stereotyp vom "drunken Indian" wurde zur Rechtfertigung und Apologese für Exterminationskriege und Zwangsumsiedelungen. Die Degenerationstheorie beruht auf zwei Prämissen: Zum einen wird vorausgesetzt, daß sich die Indianer im Zuge der Zivilisierung nur diejenigen Charaktereigenschaften der Eroberer aneigneten, die negativ waren, und daß sie gleichzeitig nur diejenigen ursprünglichen Charaktereigenschaften ablegten, die positiv waren. Sie stellten also ein Konglomerat der übelsten Wesenszüge beider Rassen96 dar, indem sie ihre eigenen Tugenden für die Laster der Weißen - also unter anderem für Alkohol - eintauschten (siehe Hermann 167 / Berkhofer 29f). Hodges schreibt in The Mestico (1850): "In the contact with the whites, the savage unfortunately evinced an aptitude for the vicious teachings of the race of strangers, and under it the native propensities struggled into preponderance and swelled into a fearful controlling influence over his character and habits" (zitiert in Hermann 105).

Zum anderen besagt die Theorie, daß der Untergang der indianischen Rasse aus eben diesen Gründen unabwendbar war. Diese angenommene Automatik der Abläufe wurde bisweilen romantisch verklärt.97 Sogar Präsident Jackson ließ sich angesichts der Tragik des Vanishing Indian zu "melancholy reflections" hinreißen (zitiert in Scheckel 33), und Henry Clay sprach vom "mammoth of the New World" (zitiert in Scheckel 4). Nichtsdestotrotz zeugt die Akzeptanz des indianischen Aussterbens von einem Glauben an die eigene rassische Überlegenheit, die sich im Sozialdarwinismus und im manifest destiny-Gedanken gründet. Die Annahme der Zwangsläufigkeit des Niedergangs ermöglicht die Abweisung von Schuld und Verantwortung, denn es handelt sich ja schließlich um einen natürlichen evolutionären Prozeß. Es gibt keine Verursacher (siehe Hermann 6 / 255 / Churchill 239f). "Indians who [...] drink themselves to death [...] save the colonizer the trouble of genocide" (Owens 159; siehe auch Churchill 28ff). Und man sah zu, daß sich die Prophezeiung selbst erfüllen würde. Auch die Zwangsumsiedelungen lassen sich so auf behagliche Weise rechtfertigen: Man wollte die Indianer lediglich von den schädlichen und zu ihrer Dekadenz führenden Einflüssen der Zivilisation abschirmen, sie in einer Heimat ohne Versuchungen unterbringen (siehe Prucha 312 / 653 / Georgi 43). Besonders die Kirche spielte den Eroberern durch die Verdammung des "demon rum" als alleinigem Sündenbock in die Hände (siehe Dailey 124f / Wax 51). Aber auch ausländische Beobachter bejahten die Removal-Bestrebungen. Der deutsche Aristokrat Paul Wilhelm von Württemberg bescheinigte in seinem Buch Reise nach dem nördlichen Amerika in den Jahren 1822 bis 1824 den weit von der Zivilisation lebenden Urvölkern einen weit weniger korrumpierten Lebenswandel:

Wie unendlich der Genuß geistiger Getränke die Indianer demoralisiert, läßt sich deutlich an jenen Völkern erkennen, die entfernt von den Weißen leben. Sie sind noch viel besser und unverdorbener als diejenigen, die auf ihren Jagdzügen oder zum Tauschhandel die Städte und Niederlassungen der letzten berühren und dort vom Genuß des Branntweins nicht abgehalten werden können. (zitiert in Lutz 272ff)

Indianerfeindliche Politiker wie Präsident Jackson, der die treibende Kraft hinter dem Indian Removal Act of 1830 war, bedienten sich solcher Legitimationsquellen, um Vertreibung und Landübernahme in besserem Licht erscheinen zu lassen, wie folgender Auszug aus einer Rede im Jahr 1835 zeigt:

A barrier has thus been raised for their protection against the encroachment of our citizens, and guarding the Indians as far as possible from those evils which have brought them to their present condition [...] I consider the absolute and unconditional interdiction of this article [alcohol] among these people as the first and great step in their melioration. [T]he destructive effects of the traffic are marked in every page of the history of our Indian intercourse (zitiert in Vogel, This Country 135f).98

Wenig Beachtung wurde dabei der Tatsache geschenkt, daß der Alkoholhandel in den westlich gelegenen indianischen Territorien lebhaft - wenn nicht gar lebhafter als im Osten- weitergeführt wurde (siehe Prucha 312).

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