Laura Eichler "Minimum or Maximum Security": Afro-Amerikanische Gefängnisliteratur von der Bürgerrechtsbewegung bis heute
I. Einleitung
Mumia Abu Jamal schreibt in seinem Aufruf an die Jugend:
You young adults should recognize that you (...) will never again be as free as you are now. (...) So if you have the opportunity to study, to row in the life of the mind, use it. Now is the time you can best move to change the world. And worlds can change, even if the change starts only in your mind, in your perception.
(Abu-Jamal, S. 120)
Diese Aussage verdeutlicht, welche Bedeutung der zu diesem Zeitpunkt in einer Todeszelle inhaftierte afro-amerikanische Journalist Mumia Abu-Jamal der Bildung zuweist. Der letzte Satz spiegelt darüber hinaus eine Hoffnung auf eine bessere und gerechtere Welt wider, die von einem zum Tode verurteilten Afro-Amerikaner angesichts der heutigen Situation in US-amerikanischen Gefängnissen nicht ohne weiteres zu erwarten wäre. Denn Fakt ist, dass die Mehrheit der Inhaftierten in US-Gefängnissen afro-amerikanischer Herkunft ist (Statistiken in Hacker). Dies trifft insbesondere für die Todeszellentrakte zu. Hinzu kommt, dass es sich in erster Linie um Häftlinge aus der ärmsten und sozial am meisten benachteiligten Gesellschaftsschicht der USA handelt, die sich aufgrund ihrer schlechten finanziellen Lage oft keinen qualifizierten und motivierten Verteidiger leisten können: "The kind of defense you get, is the kind of defense you can afford." (Siehe Statistiken Death Penalty Information Center: www.dpic.org (16.01.01))
Die Folge sind im Eilverfahren durchgeführte Prozesse, deren Konsequenz nicht selten eine drastische Bestrafung der Verurteilten ist. Dies ist nicht zuletzt auf mangelndes Engagement der meist schlecht bezahlten und daher desinteressierten Pflichtverteidiger zurückzuführen. Hinzu kommt, dass Afro-Afrikanern höhere Strafen auferlegt werden, wenn die Opfer ihrer Straftaten Weiße sind. In ungünstigen Fällen besteht die Jury in diesen Fällen noch mehrheitlich aus weißen Mitgliedern. Malcolm X, der wegen Diebstahls verurteilt wurde, schrieb sein hohes Strafmaß vor allem einer Tatsache zu, nämlich, dass zwei seiner Komplizinnen weiße Frauen waren:
We seemed to be getting sentenced because of the white girls. (... ) Later, when I had learned the full truth about the white man, I reflected many times that the average burglary sentence for a first offender, as we all were, was about two years. But we weren't going to get the average not for our crime. (Malcolm X, S. 165)
Die Erfahrungen afro-amerikanischer Gefängnisinsassen werden in erster Linie anhand von Primärquellen analysiert, d. h. Autobiographien von Afro-Amerikanern, die entweder inhaftiert waren oder es heute noch sind. Die meisten dieser Werke entstanden in den 60er und 70er Jahren und ihre Autoren sind überwiegend Mitglieder der Black Panther Party. Zusätzlich wurden jedoch auch Essays, Gedichte sowie neuere Texte afro-amerikanischer Häftlinge berücksichtigt, die aus dem Internet stammen. Die Veröffentlichungen wurden meist von Gegnern der Todesstrafe wie z. B. der Canadian Coalition Against Death Penalty oder des amerikanischen Death Penalty Information Center ermöglicht. Auf das erste Genre afro-amerikanischer Gefängnisliteratur, die slave narratives.
Die Analyse der Autobiographien, Essays sowie Gedichte ist in zweierlei Hinsicht aufschlussreich: Zum einen stößt der Leser immer wieder auf die gleichen zentralen Themen: Religion, Politik, Bildung, Freundschaft und Hoffnung. Zum anderen äußern mehrere Autoren implizit oder explizit, dass die Zeit der Inhaftierung für sie eine Zeit des Erwachens, der Bewusstwerdung ist. Dem Häftling wird in der von außen forcierten Isolation klar, dass sein individuelles Schicksal, seine persönliche Freiheitsberaubung an die Freiheitsberaubung seiner Ethnie gekoppelt ist. H. Bruce Franklin drückt das folgendermaßen aus:
If we look at most prison writings of the past, we find that the prisoner-artist typically approaches his or her loss of freedom as both an individual matter and as emblematic of something universal in the human condition.(...) From the point of view of the Afro-American experience, imprisonment is first of all the loss of a people's freedom. (Franklin, S.101).
Neben der individuellen subjektiven Wahrnehmungebene des einzelnen Häftlings bzw. Autors gibt es also immer noch eine weiterreichende Erfahrungsebene, die der kollektiven Erfahrung der afro-amerikanischen Bevölkerung in den USA. Von dieser Erkenntnis ausgehend, werden im folgenden Hauptteil ausgewählte Themen aus der Gefängnisliteratur, die von Afro-Amerikanern verfasst wurden, auf ihren individuellen sowie auf den kollektiven Erfahrungshintergrund hin untersucht.
II. Hauptteil
1. Education
Schon in den slave narratives spielte das Thema Bildung eine zentrale Rolle. Nach der körperlichen Befreiung aus der Sklaverei - durch Flucht - musste die geistige Befreiung erfolgen. Fast alle Sklaven waren Analphabeten. Erst durch das Erlernen der geschriebenen Sprache erreichte ein Sklave die Freiheit seines Körpers und die seines Geistes. Als Beispiel mag Frederick Douglas dienen. Bildung als Schlüssel zur Selbsterkenntnis und als Mittel, die Zusammenhänge zwischen Natur, Mensch und Gesellschaft zu erklären, führt zu einer Freiheit, die sogar dann erreicht werden kann, wenn der Körper sich noch hinter Gittern befindet: Freiheit der Seele. So schreibt Mumia Abu-Jamal:
Just because your body is in prison doesn't mean your mind isn't free. And even though this thought might be trite, there is some truth in it, because we are our minds. In the deepest sense we are our spirits. When you think of a person, or of your own body - is not this a prison in some sense? Are we not in a prison of time? We age, we lose our faculties, but that doesn't mean we cannot overcome, and we do that by the power of mind and spirit. We reach beyond. (Abu-Jamal, S. 42)
In der Zeugnissammlung von Etheridge Knight beschreibt ein Gefängnisinsasse sehr eindrücklich, wie er durch intensives Lesen den Weg zur Befreiung aus der Bevormundung durch die weiße Mehrheit findet:
When I first came in here, I didn't have any knowledge of myself. I didn't have any knowledge of my black ancestry, and in order to comprehend one has to have a foundation. And so I went to school. I went to school with the intention that I would have to reeducate myself: I had to improve myself, I had to make myself into what I wanted to be, and I had to tear down what this white man had built up within me. (zit. bei Knight, S. 38)
Bildung und Studium stehen im Kontext dierser Abhandlung in erster Linie für intensive Lektüre und dienen der Selbstfindung und Bewusstseinserweiterung. Ein anderer afro-amerikanischer Häftling äußert sich wie folgt: "I participated in education; I felt that this was a necessity, that this was something I had to do for myself, is to try to educate myself."(Knight, S. 37)
Auch Rubin Hurricane Carter schreibt hierzu:
Studying long and hard, I learned new things about myself and about other people. I was determined to grow rather than become stagnated and conform to the degraded ways that were this penitentiary's won't. (Carter, S. 215)
Viele schwarze Autoren sehen ihre Gefängniszeit als Zeit des Awakening. So merkt Nathan McCall hierzu an:
When I first started reading, studying and reflecting on the information I got from books I had no idea where it might all lead to. Really, it didn't matter. I was hungry for change and so excited by the sense of awakening I glimpsed on the horizon that the only thing that mattered was that I made a start. (McCall, S. 166 f.)
MCall arbeitete während seiner Inhaftierung in der Gefängnisbibliothek. Dies eröffnete ihm eine völlig neue Erfahrung: "I loved being in a place where there were so many books. For once in my life it made me feel that I had total access to the world." (McCall, S. 179) Malcolm X hatte seinen "Prison Studies" viel zu verdanken:
Many who today hear me somewhere in person or on television or those who read something I've said will think I went to school far beyond the 8th grade. This impression is due entirely to my prison studies. [...] I don't think anybody ever got more out of going to prison than I did. In fact, prison enabled me to study far more intensely than I would have if my life had gone differently and I had attended some college. I imagine that one of the biggest troubles with colleges is, there are too many distractions (...) Where else than in a prison could I have attacked my ignorance by being able to study intensely sometimes as much as fifteen hours a day? (Malcolm X , S. 172 und 181)
Einige Autoren erwähnen gut ausgestattete Bibliotheken sowie einen weitgehend unbeschränkten Zugang zu einer Vielzahl verschiedener Bücher; andere, darunter insbesondere Insassen der Todeszellen, erwähnen die Restriktion auf fünf Bücher pro Häftling sowie die Zensur bestimmter Werke:
We are allowed to order from the state library, only non-fiction and law books. Of the law books we can only order books containing court opinion. (...). But books of an explanatory nature are prohibited. (...) They also have this sick thing going on when it comes to books by and about Negroes. (Cleaver, S. 34)
Die Post der Häftlinge unterliegt in der Regel der Kontrolle durch die Gefängnisverwaltung. George Jackson schreibt hierzu: "It is contrary to institution policy to send us books from outside." (Jackson, S. 87) Mumia Abu-Jamal, dessen Werke Death Blossoms und Life from Death Row harte Kritik am US-amerikanischen Gesellschaftssystem beinhalten, wirft angesichts dieser Vorenthaltung von Bildung in einigen Gefängnissen folgende Frage auf:
What societal interest is served by prisoners who remain illiterate? What social benefit is there in ignorance? How are people corrected while imprisoned if their education is outlawed? (Abu-Jamal, S. 65)
Es gibt noch eine andere Funktion von Bildung innerhalb von Gefängnismauern: Ein hohes Bildungsniveau fungiert oft als Schutzmechanismus gegenüber den zahlreichen Bedrohungen innerhalb einer Strafvollzugsanstalt. Viele Häftlinge werden von der nur langsam voranschreitenden Zeit überwältigt. Depressionen und Angstzustände sind oft das Resultat langen Grübelns und plagender Reue- und Schuldgefühle hinsichtlich der begangenen Straftat. Neben Fernsehen und Briefe schreiben ist Lesen oft die einzige Ablenkung, die den Häftlingen dabei hilft, mental stabil zu bleiben.
Für Chester Himes wird ein hohes Bildungsniveau zum Schutzschild gegen gewalttätige Übergriffe wie beispielsweise Vergewaltigung durch Mithäftlinge: "No one tried to rape me. Perhaps because I was too educated, and ignorant men, which most convicts are, were afraid of education." (Himes , S. 61) An anderer Stelle schreibt er:
I began writing in prison. That also protected me, against both the convicts and the screws. The black convicts had both an instinctive respect for and fear of a person who could sit down at a typewriter and write and who's name appeared in newspapers and magazines outside. (Himes, S. 64)
Ein hohes Bildungniveau hat manchmal zur Folge, dass Häftlinge mit zunehmendem Wissen den Kontakt zu früheren Bekannten außerhalb des Gefängnisses verlieren. Malcolm X versuchte mittels Briefen den Kontakt zu seinen Freunden auf der Straße aufrechtzuerhalten: "I never got a single reply. The average hustler and criminal was too uneducated to write a letter." (Malcolm X, S. 171)
2. Freundschaft und Familie
a) Beziehungen zu Menschen außerhalb des Gefängnisses
Unbestreitbar spielen Freundschaften in extrem belastenden Situationen eine wichtige Rolle. Zum einen sind da die Kontakte von außerhalb: Oft sind jedoch die Besuchszeiten knapp, die Vorschriften erlauben den Gefangenen keinen Körperkontakt zu Familienangehörigen. Zudem ist ein Besuchsverbot eine der häufigsten Sanktionen bei nicht einwandfreier Führung. Diese Umstände erschweren das Aufrechterhalten von Freundschaften und sonstiger Beziehungen zu Menschen außerhalb der Gefängnismauern. Viele Häftlinge berichten, dass der Kontakt zu Freunden und oft auch zu Familienangehörigen abbricht. Während oft strikte Gefängnisregulierungen Ursache hierfür sind, liegt es, wie bereits in dem obigen Zitat von Malcolm X angedeutet, in einigen Fällen auch daran, dass die gemeinsame Basis zwischen dem Inhaftierten und seinen freien Freunden abnimmt. Ein Häftling der Georgia Death Row in Jackson berichtet, dass er vor seiner Inhaftierung die falschen Freunde wählte und ihn dieser Umstand auf die falsche Bahn brachte. (www.ccadp.org) Viele der Gefängnisinsassen, die ihre Tat bereuen, wenden sich konsequent von ihrer Vergangenheit und damit von früheren Freundschaften ab.
Ein anderer Faktor beim Bruch von Beziehungen ist häufig auch folgende Tatsache: Familie und Freunde können nicht mit der Inhaftierung umgehen. Dies gilt insbesondere für Angehörige von zum Tode verurteilten Häftlingen, die die Situation oft nur schwer seelisch verkraften. Viele Insassen der Todestrakte berichten, dass sich Familie und Freunde im Laufe der Zeit abgewandt haben, teils aus Hilflosigkeit, Angst und mangelnder psychischer Kraft angesichts eines immer näher rückenden Todesdatums für das inhaftierte Familienmitglied, teils aus Verleugnung der Tatsache, dass jemand aus der eigenen Familie so tief gesunken ist:
Knowing someone on the row is as much a shameful thing to many as it is to be here. Some will tell their friends that you are in jail for some minor crime, they'd never tell their friends that they know someone on the row. (...) Most of the time you never hear from them, other times they write back and tell you not to write to them anymore. And for some that even includes family members. So you are cut off from the things you remember, it's a solid case of being abandoned. (Arriens, S. 60)
Viele Todeszelleninsassen leben in völliger Abgeschlossenheit, da sie in Einzelzellen sitzen und über keinerlei direkte Kommunikationsmöglichkeiten verfügen. Für viele fungiert der Briefkontakt zu vormals fremden Menschen als emotionale Überlebensstütze: "Pen friends become our eyes and ears on the outside." (Arriens, S. 126). Ein anderer Insasse der Death Row schreibt hierzu:
"I live for my letters with news from my friends. They have become my extended family. They are the root system that keeps me anchored and in touch with reality. Certainly a reason for living when little else remains. (www.members.nbc.com/_XMCM/ccadp/richardrossi.htm)
Eine Reihe von Menschenrechtsorganisationen bemühen sich aus diesem Grund mit großem Engagement, Brieffreundschaften zwischen Häftlingen der Todeszellen und Menschen außerhalb zu unterstützen (z. B: www.humanwrites.org, Canadian Coalition Against Death Penalty, LifeLinks).
b) Freundschaften innerhalb des Gefängnisses
Freundschaften innerhalb des Gefängnisses werden durch verschiedene Faktoren erschwert. Zum einen mahnt die Gewaltbereitschaft einiger Häftlinge zur Vorsicht. Zum anderen sorgen Isolationsmaßnahmen dafür, dass die Häftlinge sich nicht zu nahe kommen, um Aufstände zu verhindern. Angela Davis wurde während ihrer Inhaftierung aufgrund einer Anklage wegen Entführung und versuchten Mordes zeitweise der Kontakt zu Mitgefangenen untersagt. Sie berichtet, wie sie über Zurufe mit einer Frau, die sich ein ganzes Stück von Angela Davis' Zelle entfernt befand, eine Freundschaft aufbaute, ohne diese andere Gefängnisinsassin jemals gesehen zu haben. Das abendliche Zurufen über etliche Zellen hinweg wurde zu einer lebenswichtigen Routine (S. 303) .
Freundschaften zwischen Häftlingen nehmen oft die Funktion von Familienbeziehungen ein. So fällt bei der Analyse der afro-amerikanischen Gefängnisliteratur auf, dass gerade jüngere Häftlinge von Freundschaften mit älteren Männern berichten, die oft eine Vater- bzw. Mentorrolle einnehmen. Malcolm X schrieb über seine Freundschaft zu einem älteren inhaftierten Afro-Amerikaner: "The first man I met in prison who made any positive impression on me whatever was a fellow inmate, Bimbi. [...] Bimbi, an oldtime burglar, had been in many prisons." (Malcolm X, S. 154.)
Malcolm X beschreibt, wie Bimbi aufgrund seiner Belesenheit und Wortgewandtheit viele Zuhörer, darunter auch weiße Mithäftlinge, für sich gewinnt. Die Faszination, die Bimbi auf den jungen Malcolm X ausübt, findet Ausdruck in folgendem Zitat: Bimbi was known as the library's best customer. What fascinated me with him most of all was that he was the first man I had ever seen command total respect...with his words." (Malclom X, S. 155)
Bimbi ist auch derjenige, der Malcolm dazu animiert, sich den Büchern und der Erweiterung seines Bildung zu widmen:
Out of the blue one day, Bimbi told me flatly, as it was his way, that I had some brains, if I'd use them. I had wanted his friendship, not that kind of advice. I might have cursed another convict, but nobody cursed Bimbi. He told me I should take advantage of the prison correspondence courses and the liberary. (Malclom X, S. 155).
Rubin "Hurricane" Carter hatte ebenfalls eine Vater-Sohn-ähnliche Beziehung zu einem schwarzen Mithäftling:
Mr. Summers was a good old man. A God-fearing Christian who really and truly didn't belong in jail, but everytime he went up to see the parole board the stinking bastards would hit him with two more years and he would cry like a baby. He was a kind experience-smart humble old man, and I took him like he was my father. (Carter, S. 215)
Carter rettet Mr. Summers, der von einem jüngeren stärkeren Häftling in einen Kampf verwickelt wird. Nach diesem Zwischenfall wird sich Mr. Summers bewusst, dass er im Gefängnis gealtert ist. Für Carter ist die Resignation seines väterlichen Freundes eine deprimierende Erfahrung:
I could have cried. This fierce old man was still independent and proud, respected everybody and hated no one, not even his keepers. But this stifling penitentiary couldn't hold back the hands of time. He was an old, old man and he had finally realized it. (Carter, S. 225)
Wenige Zeit später begeht Mr. Summers in seiner Zelle Selbstmord.
Auch Nathan McCall findet in einem älteren Mithäftling einen Freund, ein Vorbild und einen Mentor:
"I was fascinated by Mo Battle's range of knowledge. He knew a little something about everything. It made me wonder why he wasn't doing more with his life than being a jailhouse sage."(McCall, S. 155)
Mo Battle, ein intelligenter und erfahrener Mann, war gefangen im Teufelskreis des Triple P (Prison, Parole, Prison). Eine Kette von Faktoren war hierfür Ursache : Mo Battle war abhängig von Drogen, jenem Gift, dass Mumia Abu-Jamal als das Mittel bezeichnet, mit dem das weiße System zu Zeiten des Civil Rights Movement versuchte, die Aufstände der schwarzen Bevölkerung zu verhindern. Durch laxe Drogenpolitik wurde dafür gesorgt, dass der Gebrauch von Drogen die afro-amerikanische Bevölkerungsgruppe ‚beruhigte' und die damit verbundene Kriminalität die schwarzen Ghettos ‚beschäftigte'. (Abu-Jamal, S. 95-98)
Nathan McCall schreibt über Mo Battle:
By his own admission he was a slave to heroin. (...) He got his breaks from addiction when he went to prison. He seemed almost grateful. It gave him a chance to dry out, read, think, flirt with all the possibilities of what he could have become. (...) He'd always say to me: "Don't be like me, Youngblood. You got a chance, man. (McCall , S.155)
3. Rassismus
Diskriminierung von African-Americans ist allgegenwärtig in der US-amerikanischen Gesellschaft. In den Gefängnissen Nordamerikas jedoch werden schwarze Häftlinge mit den schlimmsten Auswüchsen des Rassismus konfrontiert.
Franklin (1989) schreibt in seinem Vorwort zu Prison Literature in America, dass man die Gefängnisse eines Landes untersuchen muss, um dessen Gesellschaft verstehen zu können. Mit anderen Worten: Man kann den Grad der Gerechtigkeit und Demokratie eines Landes daran messen, wie in den Haftanstalten mit den sozial Benachteiligten und Minderheiten umgegangen wird.
Nathan McCall schildert im folgenden, wie er für sich lernte, wer in der US-amerikanischen Gesellschaft über Macht verfügt und wer somit das Recht auf seiner Seite hat:
I shot and nearly killed Plaz, a black man and got a thirty-day-sentence, I robbed a white business and didn't lay a finger on anybody and got twelve years. I got the message. I'd gotten it all my life: Don't fuck with white folks. (McCall, S. 150)
Bobby Seale beschreibt, wie weiße Gefängniswärter und die Gefängnisdirektion ihre Macht gegenüber schwarzen Häftlingen ausspielen. Seale wurde von einem Aufseher mit rassistischen Äußerungen provoziert und reagierte mit heftigen Beschimpfungen. Die darauffolgende Sanktion ist zunächst eine Woche Besuchsentzug. Als Bobby Seale Einspruch erhebt, verlängert der Gefängnisdirektor die Dauer des Besuchsverbotes (Seale, S.199).
Zahlreiche Verletzungen der Gefängnisregeln von Seiten der Aufseher sind an der Tagesordnung, insbesondere in den Todestrakten von Bundesstaaten wie Texas. (www.ccadp.org )
Die Gewalt weißer Gefängnisaufseher richtet sich insbesondere gegen afro-amerikanische Häftlinge. Weiße Häftlinge hingegen genießen Privilegien:
Discriminate hostility, always directed against the black population, masquerading around in a cloak of discretion, was the means by which racism was injected into prison life. The white inmates had the best of everything. (Carter, S. 209 )
Jean Genet analysiert den Rassismus in den Gefängnissen im Vorwort zu George Jackson's Soledad Brother folgendermaßen:
In prison, in a cell, the white skin of the prisoners becomes the image of complicity with the white skin of the guards, so that white guards superintend another hell inside that one in which black men are jailed. (...) The complicity of the white prisoners with the guards exasperates and intensifies what constitutes the basis of relationship between white men and black men: racism. (Jackson, Introduction)
Eldrigde Cleaver berichtet in Soul on Ice, wie er wegen eines weißen pin-up girls an seiner Zellendecke Probleme mit der Gefängnisverwaltung bekommt. Jedoch ist es nicht die Tatsache, dass er eine pornographische Abbildung in seiner Zelle hat, die die Aufseher stört, sondern, dass es sich bei der abgebildeten Frau um eine Weiße handelt. Der Wärter garantiert Cleaver Sanktionsfreiheit, wenn er statt des weißen ein afro-amerikanisches pin-up girl aufhängt.
Afro-amerikanische Gefängnisinsassen werden provoziert und verbal gedemütigt: "They [the guards] punished me in many more subtle ways which I have discovered to be peculiar to the white race." (Himes, S. 65)
Trotz schlechter Behandlung entsteht bei der Analyse mehrerer Texte aus der afro-amerikanischen Gefängnisliteratur der Eindruck, dass einige resignierte Afro-Amerikaner das Leben hinter Gittern einer zweifelhaften Freiheit auf der Straße vorziehen. Diese Einstellung mutet zunächst sehr paradox an. Etheridge Knight gibt in dem Gedicht "The Warden Said to Me the Other Day" eine Erklärung:
"The warden said to me the other day (innocently, I think), "Say, Etheridge, why come the black boys don't run off like the white boys do?" I lowered my jaw and scratched my head and said (innocently, I think), "Well, suh, I ain't for sure, but I reckon it's 'cause we ain't no where to run to." (Knight, S. 141)
Bobby Seale bringt Knights Aussage noch genauer auf den Punkt: "It is just a question of whether you are in "maximum security"- which is called prison - or "minimum security" - which is called being free." (Seale in Franklin, S. 246)
Viele schwarze Häftlinge finden sich nach einer Zeit der Bewährung erneut hinter Gittern wieder. Dass es auch heutzutage viele Afro-Amerikaner in den Teufelskreis des Triple P (Prison Parole Prison) treibt, beschreibt Nathan McCall. Das Kapitel seiner Autobiographie, in welchem er berichtet, wie er ins Gefängnis überführt wird, betitelt er ironischerweise mit "Homecoming". Denn hinter den Mauern der Haftanstalt trifft er viele alte Freunde aus seiner Heimat, den Straßen eines der zahlreichen schwarzen Ghettos US-amerikanischer Großstädte. (McCall, S. 170)
4. Überlebensstrategien
Aus vielen Texten der afro-amerikanischen Gefängnisliteratur ist Resignation herauszuhören, Hilflosigkeit, wie Afro-Amerikaner gegen ihre kollektive Benachteiligung in der US-amerikanischen Gesellschaft vorgehen können. Für einige ist Bildung ein Ausweg aus der Unmündigkeit, andere schlugen revolutionärere Auswege vor. Insbesondere Malcolm X wurde für viele inhaftierte Afro- Amerikaner zum Vorbild: "I concluded that if Malcolm X, who had also gone to prison, could pull his life out of the toilet, then maybe I could too." (Arriens, S. 165)
Wieder andere wenden sich im Gefängnis der Bibel und dem Christentum zu. Insbesondere Insassen der Todeszelle richten ihre Hoffnung auf ein besseres Leben nach dem Tod. Doch es gibt auch verbitterte Äusserungen zur Religion. So bringt George Jackson seine persönliche Einstellung zu Gott zum Ausdruck:
"If there is a God, he hates me and I'll have to resist what he or it is doing to us (the African-American people). Even God managed to take something away from me. I have nothing left but myself." (Jackson, S. 88)
Mumia Abu-Jamal kritisiert christliche Schriften wie folgt:
While their piety is concentrated on the thereafter, it forgets the HERE.Their writers it seems are so intoxicated with the thought of heaven, they are content to close an eye on the simmering hell they have helped to create on earth. (Abu-Jamal, S. 41)
Überlebensstrategien wie der Glaube an die Kraft der Natur oder der Briefkontakt zu Menschen ausserhalb der Gefängnismauern helfen den Häftlingen mit ihrem individuellen Schicksal umzugehen: "It's human to laugh and to find humor even in something small. Every day. Every day there is something to laugh about. That keeps me human." (Abu-Jamal, S.61)
Angesichts des kollektiven Schicksals jedoch herrscht überwiegend Hoffnungslosigkeit vor. George Jackson urteilte:
The nagging feeling that we cannot have security in an insecure society, especially when one belongs to an insecure caste within this larger society. (Jackson, S. 111)
III. Schlussfolgerung
Das Zitat von Rubin "Hurricane" Carter über die USA als "penitentiary with a flag" (Carter, S. 202) verdeutlicht, dass Afro-Amerikaner in der amerikanischen Gesellschaft nicht die gleiche Freiheit geniessen wie die weiße Bevölkerungsmehrheit. Nathan McCall bringt den ernüchternden Fakt auf den Punkt: "Prison is the one place in America, black men rule. " (McCall, S. 149)
Ohnmacht und Hilflosigkeit angesichts der kollektiven Freiheitsberaubung und Diskriminierung ihrer Ethnie beherrschen afro-amerikanische Häftlinge in der Death Row :
There is a death camp in the state of Mississippi. The majority of its residents are black. I've lived within its walls thirteen years of my life. Within these walls, not unlike like the Jews I have been terrorized and traumatized by this experience. (Arriens, S. 55 )
Franklin, der sich in seinem Buch über Gefängnisliteratur in den USA auch intensiv mit Werken afro-amerikanischer Autoren beschäftigte, fasst treffend zusammen: "Most of the non-whites recognize that they are in prison not for what they have done as individuals but for what they are collectively." (Franklin, S. 103)
Für Mumia Abu-Jamal, der sich zum jetzigen Zeitpunkt in einer Todeszelle im Bundesstaat Pennsylvania befindet, stellt sich die Situation für Afro-Amerikaner folgendermaßen dar:
Blacks have a longer history of rejection from this society than the relatively recent era of grudging acceptance. Many have been socialized into oppression, with prison just one more grim experience in a bitter existence. [...] Life [i.e. hinter Gittern oder in vermeintlicher Freiheit] is but a grim metaphor for death, for only death releases one from its shackles. Life it might be said is merely slow death. (Abu-Jamal, S. 124 )
Das Aufbegehren und der Mut einiger Autoren wie Mumia Abu-Jamal, die trotz Sanktionen versuchen, die Öffentlichkeit aufzuklären, könnte dazu beitragen, dass der Tenor der Resignation aus den Werken der Benachteiligten und Diskriminierten dieser Welt umschlägt in Hoffnung.
Literatur
Literaturquellen
Abu-Jamal, Mumia: Death Blossoms: Reflections from a Prisoner of Conscience. Pennsylvania: The Plough Publishing House, 1996.
Abu-Jamal, Mumia: Life from Death Row. New York: Addison-Wesley, 1995.
Arriens, Jan (ed.): Welcome to Hell. Letters and Writings from Death Row. Boston: Northeastern University Press, 1997.
Carter, Rubin "Hurricane": The Sixteenth Round, From Number One Contender to Number 45472. New York: Viking Press, 1974.
Cleaver, Eldridge: Soul On Ice. London: Jonathan Cape, 1969.
Davis, Angela: An Autobiography. New York: Random House, 1974.
Davis, Angela: If They Come in The Morning... London: Orbach & Chambers Ltd., 1971.
Douglas, Frederick : Narrative of the Life of Frederick Douglass, An American Slave: Written by Himself, 1845
Franklin, H. Bruce: Prison Literature in America: The Victim as Criminal and Artist (Expanded Edition). New York: Oxford University Press, 1989.
Hacker, Andrew: Two Nations: Black & White, Seperate, Hostile, Unequal. New York: Ballantine Books, 1995.
Himes, Chester: The Quality of Hurt. The Autobiography of Chester Himes. New York: Doubleday & Co., 1972.
Jackson, George: Soledad Brother. The Prison Letters of George Jackson. New York: Coward-Mc Cann Inc. , 1970.
Knight, Etheridge: Black Voices From Prison. New York: Pathfinder Press Inc. , 1970.
Malcolm X, with the assistance of Alex Haley: The Autobiography of Malcolm X. New York: Grove Press, 1965.
McCall, Nathan: Makes Me Wanna Holler. A Young Black Man in America. New York: Vintage Books, 1995.
Seale, Bobby: A Lonely Rage. The Autobiography of Bobby Seale. New York: Times Books, 1978.
Internetquellen
www.mumia2000.org
www.ncadp.org (National Coalition Against the Death Penalty)
www.cadp.org (Canadian Coalition Against Death Penalty)
www.dpic.org ( Death Penalty Information Center)
www.humanwrites.org
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