Deutsch-Amerikanischer Almanach

Susanna Eiber
Der Fall Cheryl Chessman und die Berichterstattung in der deutschen Presse

1. Einleitung

Der Fall Chessman ist kein gewöhnlicher Fall eines Kriminellen, der in den Vereinigten Staaten zum Tode verurteilt wurde. Der Fall Chessman erregte nicht zuletzt durch seinen Hauptakteur, Caryl W. Chessman, die Weltöffentlichkeit. In diesem Falle ging es hier nicht nur darum, ob die Todesstrafe moralisch verantwortbar ist. Es ging auch darum, ob ein Unschuldiger zum Tode verurteilt wird,. um die Qualen, die ein Mensch während der Zeit bis zu seiner Hinrichtung zu erleiden hat, um einen Gefangenen der durch intelligentes Vorgehen einen Hinrichtungsaufschub nach dem anderen erwirken konnte, um einen Kriminellen, der zahlreiche Bestseller veröffentlichte, um einen Mann der es vollbrachte, dass sich weltweit Menschen für ihn einsetzten und demonstrierten, und der letztendlich doch dem amerikanischen Justizsystem unterworfen war und trotz aller Bemühungen und Unterstützung seinen persönlichen Kampf gegen seine Hinrichtung verliert.

Dieser Artikel setzt sich nicht mit der Frage auseinander, ob Caryl Chessman wirklich schuldig war oder nicht. Diese Frage wurde in verschiedenen Büchern, zum Beispiel von William Knustler, sowie zahlreichen Artikeln (stellvertretend für viele siehe Der Spiegel 11/1960, S. 53ff.) zu beantworten versucht und fand bis heute keine klare Antwort. Das weltweite Interesse an einem Kriminellen wie Chessman war nicht in der Schuldfrage begründet. Es ging hier vielmehr um die Person des Caryl Chessman. Ein Mann, der es mit Intelligenz und Gerissenheit vollbrachte, die amerikanische Justiz in Verlegenheit zu bringen und damit weltweit Aufmerksamkeit zu erringen.

Im ersten Teil meines Textes werde ich die Entwicklung von Chessmans Leben vor und nach der Verurteilung darstellen. Der Haupteil befasst sich mit der Reaktion der deutschen Presse auf die Hinrichtung Chessmans am 2. Mai 1960. Anhand einer Analyse der Artikel, die deutsche Zeitungen und Zeitschriften zum Thema Chessman veröffentlicht haben, wird erörtert, wie häufig, mit welcher Tendenz und mit welchen Inhalten über den Fall berichtet wurde. Außerdem wird untersucht, worin die Unterschiede in der Berichterstattung liegen. Desweiteren wird die Reaktion der Öffentlichkeit in den Vereinigten Staaten und außerhalb skizziert sowie die Frage beantwortet, warum der Fall eine so große Aufmerksamkeit auf sich zog. Schließlich werden in der Zusammenfassung die wichtigsten Punkte der deutschen Presseberichterstattung über die Reaktionen der Öffentlichkeit aufgezeigt.

2. Der Fall Chessman

2.1. Biografie

Kaum sechzehn Jahre alt, warst du schon in Polizeihaft unter dem Verdacht, zahlreiche Verbrechen begangen zu haben.[...] Und dennoch bist du einmal ein scheues, intelligentes, sensitives Kind gewesen - geliebt, erwünscht, musikalisch begabt, in einem guten Heim und einer gesunden kleinbürgerlichen Umgebung aufgewachsen. Demnach bist du nicht bereits schlecht auf die Welt gekommen. Dennoch hast du dich schlecht entwickelt.
(Chessman: 13f.)

Carol Whitier Chessman wurde am 27. Mai 1921 in St. Joseph, Michigan geboren. Der Geburtshelfer informierte Cayls Mutter, dass jede weitere Geburt lebensbedrohlich für Sie sein würde. Aufgrund des instabilen Gesundheitszustandes von Frau Chessman beschloß die Famile nach Glendale in Südkalifornien umzuziehen.

Im Alter von fünf Jahren erkrankte Caryl an einer Lungenentzündung und wäre daran beinahe gestorben. Als er ein Jahr später Asthma bekam, zog die Familie erneut um. In Pasadena fanden sie ein günstigeres Klima für den kranken Sohn. Die neue Umgebung bekam Carol besser und er begann Klavier zu spielen. Hier zeigte er großes Talent. Er mußte das Klavierspiel allerdings nach einer schweren Gehirnhautentzündung, die seine Gehör-funktionen stark schädigte, aufgeben. Als 8-jähriger saß Caryl auf dem Rücksitz des elterlichen Autos, als seine Mutter an einer verkehrsreichen Kreuzung in Los Angeles in einen Autounfall verwickelt wurde. Sie erlitt dabei einen Schädelbruch und eine Querschnitts-lähmung. Ihr Sohn schien zunächst unverletzt, bei Röntgenaufnahmen stellte sich aber heraus, dass seine Nase und der Kiefer gebrochen waren. Die durch die Lähmung der Mutter, bedingten immer knapper werdenden finanziellen Mittel, zwangen den Vater das Haus in Pasadena zu verkaufen und eine Wohnung in einer ärmeren Gegend in Glendale anzumieten. Nachdem die Familie zwei Jahre lang von der Hand in den Mund gelebt hatte, beantragte der Vater von Caryl staatliche Unterstützung. Im Alter von fünfzehn Jahren erkrankte Caryl an Diptherie (vgl. Knustler). Die Ärzte, die ihn aus dem County Hospital, entließen verordneten ihm sechs weitere Monate Bettruhe. Die Zeit nach seiner Genesung markiert den Beginn Caryl Chessmans krimineller Karriere.

Zunächst überfiel Chessman Lebensmittelgeschäfte. Schnell kamen kleinere Einbrüche, Geldfälschung und Autodiebstahl hinzu. Die Polizei erwischte ihn das erste Mal als er gerade dabei war eine Metzgerei zu überfallen. Er wurde in eine Zelle des Polizeireviers von Glendale eingesperrt und konnte durch ein offenes Fenster entkommen. Im Sommer des Jahres 1937 wurde Chessman von der Polizei in einem gestohlenen Auto aufgegriffen und in ein "County Forrestry Camp" gesteckt. Nachdem Caryl zweimal aus dem Camp geflohen war, wurde er an die "Preston State Industrial School" in Ione weitergegeben. Im darauffolgenden April entschied der Richter, der ihn dorthin entsandt hatte, auf sofortige Entlassung. Einen Monat später stahl Chessman das Dienstfahrzeug und die Kreditkarte eines Postboten aus Pasadena und begann einen neuen Abschnitt seiner kriminellen Karriere. Caryl überfiel nun Bordelle in den Hollywood Hills. An seinem 17. Geburtstag wurde er vor einer Drogerie in Glendale von zwei Polizisten festgenommen und danach wieder nach Preston an die "State Industrial School" wegen Autodiebstahl und Geldfälschung zurückgeschickt. Chessman wurde im Juni 1939 entlassen und kehrte zu seinen Eltern nach Los Angeles zurück. Sein Vater verdiente inzwischen mit dem Einbau von Jalousien das Geld für die Familie. Bereits nach zwei Wochen wurde Caryl wegen Diebstahls für 10 Tag in das County Jail von Los Angeles e eingesperrt.

Nach weiteren Fahrzeugdiebstählen und Aufenthalten in Besserungs-anstalten brannte Caryl mit einem Mädchen nach Las Vegas durch. Das Pärchen kehrte nach Glendale zurück und heiratete. Der frisch gebackene Ehemann Chessman begann ehemalige Bekannte aus Preston um sich zu scharen. Die Gruppe führte gemeinsam Überfälle und Autodiebstähle durch. Die Teenager wurden schließlich bei einem Tankstellenüberfall von der Polizei erwischt. Caryl Chessman wurde für vier Einbrüche im ersten Verfahren schuldig gesprochen und in das Gefängnis San Quentin eingesperrt. Am 11. Mai 1941, im Alter von 20 Jahren wurde er in eine Zelle gesperrt, die dem Todestrakt, der sogenannten "Death Row", direkt gegenüber lag. Es war für ihn der erste Kontakt mit einem Gefängnis für Erwachsene und dem Todestrakt. Chessman wurde in San Quentin zum Hauptassistenten des Erziehungsbeauftragten und zum Anführer des "Prisoner Debating Team".

1942 begann er Beiträge für das gemeinschaftliche Radioprogramm "San Quentin on Air" zu schreiben. Bereits nach einem Jahr verlegten die Verantwortlichen Chessman in eine kalifornische Männerhaftanstalt in Chino mit geringeren Sicherheitsvorkehrungen. Nach vier Monaten Aufenthalt flüchtete er durch das Hintertor, wo zwei Freunde in einem Fluchtauto auf ihn warteten. Wenige Tage später brachten Polizisten Chessman wieder nach San Quentin zurück. 1945 wurde er in ein Gefängnis in Sacramento verlegt. In diesem Jahr drängte er seine Frau auf die Scheidung. 1947 wurde Chessmans Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt und er kehrte zurück nach Los Angeles. Angekommen in Los Angeles erwarb der Kriminelle eine Waffe und überfiel Wettbüros.

2.2. Die Festnahme des "Rotlicht-Banditen"

Genau 46 Tage nach seiner Entlassung fuhr er mit einem grauen Ford Coupé in der Vermont Street als er einen Streifenwagen im Rückspiegel bemerkte. Nach einer Verfolgungsjagd konnte die Polizei Chessman stellen. Die Polizisten, die ihn festnahmen, waren überzeugt mit Chessman den berüchtigten "Rotlicht-Banditen" festgenommen zu haben, wie Kunstler schreibt.
Der sogenannte "Rotlicht-Bandit" versetzte vor allem die jungen Bewohner von Los Angeles seit Wochen in Angst. Er überfiel Liebespaare, die im Schutze der Dunkelheit in Ausfallstraßen von Los Angeles (Hollywood Hills) parkten. Die Methodik des "Rotlicht-Banditen" verlief jedes Mal gleich. Hatte er einen Wagen mit einem Pärchen erspäht, schaltete er das auf dem Dach seines Ford angebrachte rote Blinklicht an. Das Licht erweckte bei den Opfern den Eindruck, dass sie von einem Streifenwagen der Polizei entdeckt worden waren. Anschließend leuchtete der Kriminelle mit einer Taschenlampe seine Opfer an und verlangte die Herausgabe der Geldbörsen. In einigen Fällen verlangte er, dass sein weibliches Opfer ihn begleiten solle.

2.3. Die Verurteilung

Caryl Chessman wurde am 25. Juni 1948, in dem Verdacht der "Rotlicht-Bandit" zu sein, von einem Schwurgericht in Los Angeles wegen 17 Verbrechen des Raubs, der Entführung und der Notzucht zu 15 hohen Freiheitsstrafen, unter anderem einmal lebenslänglich verurteilt. Im "Case of the People of the State of California versus Caryl Chessman" sprach die Jury, elf Frauen und ein Mann, das Urteil "zweimal die Todessstrafe durch Anwendung tödlichen Gases" aus. Das Schwurgericht konnte dieses Urteil mittels eines juristischen Kunstgriffes erwirken. Das "Kleine Lindbergh-Gesetz" [1], das ursprünglich dazu bestimmt war, Kindesentführungen zum Zwecke der Erpressung zu bekämpfen, wurde bei Chessmans Urteilsfindung angewendet. Die Jury verurteilte Chessman wegen "Kidnapping" zum Tode.

Mehrere juristische Probleme begleiteten die Verurteilung Chessmans. Zum einen verlief das Verfahren nicht rechtmäßig - neben einer unklaren Beweisführung gab es auch gefälschte Protokolle. Außerdem ist bis heute nicht eindeutig bewiesen, dass Caryl Chessman wirklich der "Rotlicht-Bandit" war. Chessman selbst bestritt von der Festnahme bis zur Vollstreckung des Todesurteils der "Rotlicht-Bandit" gewesen zu sein. Und genau diese Punkte führten neben der starken Persönlichkeit Chessmans dazu, dass die Geschichte um seine Person weltweit das Interesse und die Emotionen der Öffentlichkeit entflammte. Der Stand der heutigen Gesetzeslage in den Vereinigten Staaten würde eine Verurteilung Chessmans zum Tode nicht mehr möglich machen.

Die elfeinhalb Jahre, die Chessman bis zu der Vollstreckung des Todesurteils in der Todeszelle verbrachte, sollten zu einer Phase unglaublicher Aktivität in seinem Leben werden (Spiegel 11/1960, S. 53). Während dieser Zeit eignete er sich umfassende Rechtskenntnisse an, die ihm dabei halfen seinen bevorstehende Hinrichtung insgesamt acht Mal hinauszuzögern.

Auflistung der Hinrichtungsaufschübe Quelle: Der Spiegel, Nr. 11/1960, S. 53.
geplante Hinrichtung Aufschubdatum
28. März 1952 19. Februar 1952
27. Juni 1952 23. Juni 1952
14. Mai 1954 13. Mai 1954
30. Juli 1954 28. Juli 1954
14. Januar 1955 11. Januar 1955
15. Juli 1955 5. Juli 1955
23. Oktober 1959 21. Oktober 1959
19. Februar 1960 19. Februar 1960
2. Mai 1960 Hinrichtung Chessmans erfolgt

Er entwickelte eine Schwäche für Camus und begann selbst Bücher zu schreiben, die weltweit auf die Bestsellerlisten kamen. Es entstand die Legende von dem "verbrecherischen Genie". das klüger war als alle seine Richter. "Der Spiegel" berichtigte zwar dieses in der Öffentlickeit weit verbreitete Bild von Chessman in seiner Berichterstattung. Das Magazin bezeichnete Chessman als einen "höchst mittelmäßigen Banditen", der alles andere als ein erfolgreicher Verbrecher gewesen sei. Aber während dieser elfeinhalb Jahre Gefangenschaft wurde Chessman zu "Amerikas populärstem Gefangenen".

3. Reaktionen der Öffentlichkeit auf die Hinrichtung Chessmans

3.1. Reaktionen in den Vereinigten Staaten

Die Person Chessman polarisierte die Meinungen der Öffentlichkeit vor allem in den Vereinigten Staaten. Der Großteil der amerikanischen Bevölkerung empfand an der Behandlung Chessmans nichts Unrechtes. Eine der typisch amerikanische Meinung war zum Beispiel, dass man einen Mann nicht deshalb begnadigen kann, nur "weil er Bücher schreibt". Der Spiegel (11/1960) berichtet von vier Motiven, die die mehrheitliche Haltung der Amerikaner gegen Chessman begründen sollen. Chessman zeigte bis zur Hinrichtung keine Reue. Er entstammt ursprünglich aus der Unterschicht, der Gesellschaftsschicht, die am eifrigsten seine Hinrichtung forderte und hat es durch seine Buchveröffentlichungen inzwischen zu einem Vermögen gebracht. Des weiteren werden Chessman unzüchtige Handlungen an Frauen vorgeworfen, Verbrechen, die besonders im puritanischen Amerika hart bestraft werden. Auch sein überdurchschnittlicher Intelligenzquotient bietet eine Angriffsfläche, denn der Durchschnittsamerikaner hat das Gefühl, dass es nicht von der Intelligenz des Verurteilten abhängen sollte, ob er hingerichtet wird oder nicht.

Und doch gab es auch Stimmen, die sich gegen die Hinrichtung Chessmans aussprachen, darunter berühmte Persönlichkeiten. Für Chessman war die High Society - die des Geldes und der Bildung. So engagierten sich Eleanor Roosevelt, Steve Allen und Aldous Huxley für seine Begnadigung. Auch die Presse im Osten der Vereinigten Staaten forderte Straf-milderung. Sie alle argumentierten, dass der Strafanspruch des Staates durch Chessmans langen Aufenthalt in der "Death Row" verwirkt sei. Am Abend vor seiner Hinrichtung forderte eine amerikanische Delegation, zu der auch Filmstars wie Marlon Brando und Shirley McLaine zählten, den Gouverneur von Kalifornien Brown auf, Chessman zu begnadigen. Die Opfer Chessmans und ihre Angehörigen nahmen die Nachricht von der Hinrichtung sehr unterschiedlich auf. Der Ehemann eines der Opfer, der der Hinrichtung beiwohnte, äußerte sich anschließend: "Ich bin befriedigt." Die Mutter des Opfers Alice Meza äußerte Zufriedenheit, aber keine Genugtuung über die Hinrichtung.

3.2. Reaktionen außerhalb der Vereinigten Staaten

Der Fall Chessman erregte die Öffentlichkeit vor allem außerhalb der Vereinigten Staaten. Die Reaktionen der Politik, der Presse und der Öffentlichkeit waren sehr emotional und besonders zahlreich. Die Stimmen der Öffentlichkeit hatten denselben Tenor: Sie waren für die Abschaffung der Todesstrafe und für die Begnadigung Chessmans. Die Hinrichtung Chessmans erregte weltweit ungeheures Aufsehen und heftige Kritik an den Vereinigten Staaten und seinem Justiz-System.

3.2.1. Gesellschaftliche Reaktionen

Aus ganz Europa wurden Briefe an die zuständigen Behörden für eine Begnadigung Chessmans gesandt. In Genf sammelten Studenten insgesamt 9000 Unterschriften für eine Petition zugunsten Chessman. Besonders starke Kritik an dem amerikanischen Rechtssystem kam nach der Hinrichtung Chessmans aus Italien. Ein italienischer Bürger bezeichnete die Tötung des angeblichen "Rotlicht-Banditen" als schlimmer für die Vereinigten Staaten als der Krieg in Korea (SZ, 4. Mai 1960, S. 22). In Stockholm und Quebec demonstrierten Menschen vor der amerikanischen Botschaft. Demonstranten in Lissabon bewarfen die dortige amerikanische Botschaft mit Steinen und zerstörten dabei Fenster. In Quito, Ecuador protestierten ca. 200 Schüler und riefen "Nieder mit den Yankees". Des weiteren gab es große Demonstrationen gegen die Verurteilungsmethode und die Todesstrafe in den Vereinigten Staaten in Pretoria, Südafrika und in Belgien.

Auch die ausländische Justiz, so in der Schweiz, Finnland und Norwegen übte Kritik. Henning Boedtker, Oberstaatsanwalt in Oslo bezeichnete die Hinrichtung als "furchtbaren Schlag gegen die Justiz" (SZ, 4. Mai 1960, S. 22). Prominente Persönlichkeiten aus allen Teilen der Welt, wie z.B. Albert Schweitzer, übten ebenfalls Kritik.

3.2.2. Politische Reaktionen

Die Regierung von Uruguay wies das State Department darauf hin, dass bei einem Besuch des Präsidenten mit amerikafeindlichen Demonstrationen von Studenten zu rechnen sein, wenn Chessman hingerichtet werde. Trotz eine Aufschubs der Hinrichtung kam es zu Studenten-demonstrationen.
Sogar der Vatikan bezog zum Fall Chessman sogar mehrmals Stellung. Das vatikanische Organ "L'Osservatore Romano" verkündete: "Kein menschliches Herz vermag zu glauben, das Leben des Verurteilten in der Death Row sei um zwei Monate verlängert worden, lediglich, um dann doch im tödlichen Gas zu erlöschen. Kein Jurist kann daran denken und kein Strafgesetz verlangt ein Todesurteil nach zwölf Jahren zu vollstrecken. Und noch weniger könnte sich das amerikanische Volk, mächtiger Verteidiger der Menschenrechte, mit einem solchen Vergehen abfinden." (zit. in Der Spiegel 11/1960, S. 55)

3.2.3. Pressereaktionen

Die französische Zeitung "Le Monde" bezeichnete den Fall Chessman als "beispielhaft für die Absurdität des amerikanischen Rechtssystems". Der britische "Guardian" schrieb: "An einer Rechtsordnung, die Verzögerungen wie das zwölfjährige Martyrium von Chessman duldet muß etwas grundsätzliches falsch sein." Dänische und Schwedische Zeitungen sammelten zusammen ca. 140.000 Unterschriften für eine Gnadenpetition. Der "Corriere d'Informazione" in Italien schrieb über die Hinrichtung Chessmans: "Chessman in der Gaskammer ermordet...grausames Amerika" (Bild, 4. Mai 1960, S. 1). In Italien waren die Reaktionen der Presse, des Vatikans, der Regierung und der Parteien, aller politischen Richtungen einheitlich, die Hinrichtung wurde als "furchtbare Ungerechtigkeit" (SZ, 4. Mai 1960, S. 22) verurteilt. Die Reaktionen der englischen Presse hingegen waren geteilt. Neben dem Großteil der Artikel, die sich gegen die Tötung aussprachen, gab es jedoch auch Veröffentlichungen in der Presse, die sich neutral mit dem Thema auseinandersetzten. Eines der neutralen Organe war z.B. der "Sunday Express": "Das amerikanische Rechtssystem mag falsch sein, weil es so viele Anfechtungsmöglichkeiten zulässt. Es wäre aber ebenso falsch, deshalb Sympathie für einen Verbrecher zu verschwenden, der keine verdient." (SZ, 4. Mai 1960, S. 22) In Frankreich unterbrach der Sender Europa 1 sogar sein Programm, um über die Hinrichtung Chessmans zu berichten. Die Zeitungen "Paris-Presse" und "France-Soir" reagierten mit der Herausgabe von Extrablättern, ebenso in Portugal. (Bild, 4. Mai 1960, S. 1)

4. Die Behandlung des Falles Chessman in der deutschen Presse

Die Reaktionen und die Berichterstattung der deutschen Presse zum Fall Chessman wurden anhand von Artikeln, die im Zeitraum von März bis Juli 1960 erschienen, untersucht. Vor März und nach Juli wurde nur sehr vereinzelt über Chessman berichtet.
Es wurden Artikel aus ausgewählten deutschen Zeitungen und Zeitschriften für die Untersuchung der Berichterstattung herangezogen. Dazu habe ich folgende überregionale Tageszeitungen gesichtet: "Süddeutsche Zeitung", "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Frankfurter Rundschau" und "Die Welt". Die aufgeführten Tageszeitungen decken politisch unterschiedliche Richtungen ab, wobei sie im wesentlichen das in der Bundesrepublik vorfindbare politische Spektrum von "rechts" bis "links" abdecken. Außerdem wurden Artikel aus der renommiertesten Wochenzeitung der Bundesrepublik "Die Zeit" und der größten und überregional verbreitetesten Boulevard-Zeitung, der "Bild"-Zeitung, ausgewertet.

Bei den Zeitschriften nimmt "Der Spiegel", aufgrund seiner wöchentlichen Erscheinungsform und seiner redaktionellen Inhalte der pressetypologisch eine Sonderstellung ein. Außerdem wurden Publikumszeitschriften, wie die Regenbogenblätter "Bunte", "Neue Revue", "Kristall", "Neue Illustrierte" und "Quick" (die drei letzten Zeitschriften sind mittlerweile Konezentrationsprozessen der Medienlandschaft zum Opfer gefallen) als Vergleichsmöglichkeiten zu der Berichterstattung in den "seriösen" Tageszeitungen herangezogen (vgl. Pürer/Raabe, S. 166ff.).

Insgesamt wurde die Berichterstattung der deutschen Presse über "Chessman" anhand von 12 verschiedene Presseerzeugnissen untersucht, sechs Zeitungen (5 Tageszeitungen und 1 Wochenzeitung) und 6 Zeitschriften (5 Blätter der Regenbogenpresse und 1 seriöses Nachrichtenmagazin).

4.1. Statistik der Berichte

Vor der Exekution fanden sich nur sehr vereinzelt Artikel, wie z.B. eine Titelgeschichte über "Chessman", die am 3. März 1960, im "Der Spiegel" erschien oder am 30. April ein Artikel über die Versöhnung "Chessmans" mit den Detektiven, die ihn 1948 gefangen genommen hatten, in der "Neuen Revue" mit dem Titel "Ich hasse Euch nicht mehr".
Die größte Dichte erreichten Pressemeldungen nach der Exekution Chessmans, (2. Mai 1960). Vom dritten bis zum 12. Mai 1960 erschienen in den untersuchten Medien insgesamt 32 Artikel. Allein 25 der 32 Artikel wurden in deutschen Tageszeitungen und nur 7 Artikel in Zeitschriften veröffentlicht. Die umfangreichste Berichterstattung zur Exekution "Chessmans" boten mit je sieben Veröffentlichungen die "Süddeutsche Zeitung" und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Die "Frankfurter Rundschau" schließt mit fünf Artikeln auf. Das Schlusslicht bilden "Die Welt" mit nur drei Artikeln vor "Die Zeit" (Wochenzeitung) mit nur einer Veröffentlichung.
Besonders in den unmittelbar folgenden Tagen nach der Exekution, also dem dritten und vierten Mai, publizieren die großen Tageszeitungen oft mehrere verschiedene Artikel zu Chessman pro Ausgabe. Die "Süddeutsche Zeitung" berichtet am 4. Mai 1960 in drei Artikeln über "Caryl Chessman".
Die folgende Tabelle gibt eine genaue Übersicht.

Übersicht über Meldungen in Zeitungen, vom 3. - 12. Mai 1960
Bezeichnung Artikel Anzahl insgesamt Artikel Anzahl 3.5.1960 Artikel Anzahl 4.5.1960 Artikel Anzahl 5.-12.5.1960
Bild 2 1 1 0
Die Welt 3 2 1 0
Die Zeit 1 0 0 0
SZ 7 1 3 3
FAZ 7 2 2 3
Frankfurter Rundschau 5 1 2 2
Insgesamt 25 7 9 8

Bei den Zeitschriften führt "Quick" mit einer Serienberichterstattung in zwei verschiedenen Ausgaben. Die anderen Boulevardblätter publizieren je einen Artikel zu "Chessman". Einen Sonderfall bildet hier auch "Der Spiegel", der keine Meldung über die Hinrichtung veröffentlicht.

4.2. Berichterstattung in deutschen Zeitungen

Im Gegensatz zur Boulevardpresse verzichteten alle untersuchten Zeitungen auf die Verwendung von Bildmaterial zum Fall Chessman. Inhaltlich traten jedoch Überschneidungen auf. Die Schlagzeilen der seriösen Presse ähneln sich stark, wie die folgende Tabelle beispielhaft für den 3. und 4. Mai 1960 aufzeigt.

Übersicht über die Berichterstattung am 3./4. Mai 1960
Datum Zeitungsname Überschrift/en
3. Mai 1960 Frankfurter Rundschau "Chessman hingericht"
"Der Fall Chessman erregt die Welt"
Frankfurter Allgemeine Zeitung  "Chessman hingerichtet"
"Caryl Chessman in der Gaskammer hingerichtet"
Süddeutsche Zeitung "Chessman hingerichtet"
Die Welt "Caryl Chessman hingerichtet"
"Chessman starb in der Gaskammer"
4. Mai 1960 Frankfurter Rundschau "Entrüstung über Chessmans Tod"
"Entrüstung über Chessmans Hinrichtung"
Frankfurter Allgemeine Zeitung "Chessmans Ende"
"Heftige Reaktionen auf die Hinrichtung Chessmans"
Süddeutsche Zeitung "Nach Chessmans Hinrichtung"
"Über Chessmans Hinrichtung empört"
"Weltweite Empörung über Chessmans Hinrichtung"
Die Welt "Chessman und unser Gewissen"

Die Überschriften vermitteln bereits ein gutes Bild über die Berichterstattung der Tageszeitungen. Die Artikel der Tageszeitungen haben zwei inhaltliche Schwerpunkte. Zum einen die Berichterstattung über Chessmans Tod und zum anderen die Reaktionen der Öffentlichkeit darauf. Der Tenor der Berichterstattung ist wie in der Boulevardpresse gegen die Todesstrafe und für Chessman. Detailgetreuer soll die Berichterstattung anhand einer Analyse der Artikel in der Frankfurter Rundschau (FR) und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), die auf die Hinrichtung Chessmans folgten, anlaysiert werden.

Am 3. Mai 1960 bringen beide Tageszeitung auf der Titelseite eine Kurzmeldung mit der Überschrift "Chessman hingerichtet". Die Frankfurter Rundschau veröffentlicht auf der Titelseite einen weiteren ausführlicheren Artikel mit dem Titel: "Fall Chessman erregt die Welt". Es wird über die weltweiten Proteste gegen die Hinrichtung berichtet. Der Artikel wird auf der letzten Seite der Ausgabe fortgesetzt. Hier wird der Aspekt der Unschuld Chessmans kurz dargestellt. Desweiteren führt die FR, den Kauf der Filmrechte an Chessmans Leben durch Marlon Brandos auf.
Auch die FAZ veröffentlicht in der Ausgabe vom 3. Mai einen weiteren ausführlichen Artikel. Auch hier ist Marlon Brando Thema, neben dem Hinrichtungsszenario und Chessmans Unschuldsbeteuerungen Thema. Boulevardlastige Aspekte wie Henkersmahlzeit und Verdienst Chessmans durch schriftstellerische Tätigkeit finden in der FAZ mehr Platz. Auch am 4. Mai findet die Geschichte Chessmans erneut auf der Titelseite der FR Platz. Erneut wird sehr ausführlich über die Reaktionen der Öffentlichkeit berichtet, die "dem Ansehen der USA einen schweren Schlag versetzt" (FR, 4. Mai 1960, S. 1) haben. Auch dieser Artikel wird auf der letzten Seite fortgesetzt.
Als einzige deutsche Tageszeitung veröffentlicht die FR, in der Ausgabe vom 4. Mai, zwei Abschiedsbriefe von Caryl Chessman. In den Briefen bezeichnet Chessman die Todesstrafe als "Rache an mir" (FR, 4. Mai 1960, S. 20). Chessman bezeichnet die Todesstrafe als "Segen [...] diesen fürchterlichen Kampf und diese unmenschliche Qual zu beenden" (FR, 4. Mai 1960, S. 20). Für ihn ist die Todesstrafe ein Mittel für die Gesellschaft, um sich vor der Verantwortung zu drücken. Desweiteren bekennt Chessman erneut: "Ich war nicht der berüchtigte Rotlicht-Bandit Südkaliforniens. Kalifornien hat den falschen Mann verurteilt." Die Veröffentlichung weist deutlich noch einmal auf die groteske Situation hin, dass womöglich mit Chessman der falsche Verbrecher zum Tode verurteilt wurde und dass die Todesstrafe letztendlich der einfachste Ausweg für die Gesellschaft ist mit Problemfällen umzugehen. Die Briefe unterstreichen den Tenor der Berichterstattung gegen die Todesstrafe. Die FR zitiert in dem Artikel über die "Entrüstung über Chessmans Hinrichtung" Albert Schweitzer, der die Hinrichtung "als legalen Mord" bezeichnet (FR, 4. Mai 1960, S. 1). Drastischer kann man den Fall Chessman wohl nicht beurteilen.
Die FAZ bringt am 4. Mai zwar keine Titelgeschichte zu Chessman, kritisiert jedoch stark das Vorgehen der amerikanischen Justiz: "Es wäre kein Zeichen von Schwäche gewesen, hätte das Recht im Fall Chessman sich der Gnade statt der Vergeltung bedient." (FAZ, 4. Mai 1969, S. 2) In dem Artikel "Heftige Reaktion auf die Hinrichtung Chessmans" wird ebenfalls auf die Unschuldsbeteuerung Chessmans hingewiesen. Auch Auszüge aus seinen Abschiedsbriefen werden zitiert. Die Berichterstattung der Tageszeitungen ähnelt sich in der Themenwahl stark. Die FAZ veröffentlicht, wie die FR, Albert Schweitzers Zitat. Beim Fall Chessman gibt es also keine "linke"- oder "rechte" Berichterstattung. Die Zeitungen in Deutschland sind sich einig.

Am 5. Mai ist in der FR von einem "Kampf gegen die Todesstrafe" die Rede. Es wird von Fällen, die dem Chessmans ähneln berichtet. Die FAZ beschränkt sich von nun an in ihrer Berichterstattung auf boulevardlastigere Aspekte. Unter dem Titel "Noch keine Ruhe für Chessman" (FAZ, 4. Mai 1969, S. 7) wird ein Artikel veröffentlicht, der über die Verweigerung eines kalifornischen Friedhofs berichtet, auf dem Chessman begraben werden sollte. Einen Tag später greift nun auch die FR seichtere Themen des Falles auf. FR und FAZ berichten über die Existenz einer Tochter des Kriminellen, die bis dahin geheimgehalten wurde und spekulieren über die Hintergründe. Mit diesem Artikel endet die Berichterstattung der FR über Chessman, der Kampf der FR gegen die Todesstrafe ist somit nicht mehr Thema. Nach weniger als einer Woche ist der Fall Chessman bereits aus der Presse verschwunden. Nur die FAZ erinnert am 12. Mai in einem Artikel über den Todeseintritt bei Gaskammerhinrichtungen noch einmal kurz an Chessman.

Zusammenfassend ist feststellbar das die Berichterstattung der deutschen Tagszeitungen über den Fall Chessman über einen kurzen Zeitraum sehr ausführlich und an Artikeln reich war. Besonders das Thema der öffentlichen weltweiten Entrüstung war Thema, die Frage nach Chessmans Schuld wurde vernachlässigt.

4.3. Berichterstattung der Boulevard- und Regenbogenpresse

4.3.1. Verwendung von Bildmaterial

Der auffälligste Unterschied in der Berichterstattung zwischen den serösen Tageszeitungen und den Illustrierten ist die Bild- bzw. Textlastigkeit. Bei der Berichterstattung der Boulevardblätter (Bunte, Kristall, Quick, Neue Revue und Neue Illustrierte) stehen Bilder als Aufmacher stark im Vordergrund, sie drängen den Text in den Hintergrund. Auffällig ist, dass sich bestimmte Bildermotive besonderer Beliebtheit erfreuen.
Typische Bild-Veröffentlichungen sind: Porträts von Chessman, Aufnahmen der Gaskammer und Außenaufnahmen des Gefängnisses von San Quentin. In den insgesamt sechs Artikeln aus Illustrierten ist vier Mal eine große Porträtaufnahme von Chessman als Aufmacher zu sehen. Beliebte Motive von Chessman sind: Chessman in Handschellen, Chessman argumentierend auf der Anklagebank oder Chessman niedergeschlagen in seiner Gefängniszelle. Großaufnahmen der Gaskammer von innen und außen, die bedrohlich und abschreckend wirken, sind außerdem häufig. Auch Bilder der Gefängnisanlage von San Quentin werden oft in den Illustrierten veröffentlicht.
Nur in Ausnahmen zu sehen sind Aufnahmen der Opfer, sowie der am Prozess beteiligten Staatsanwälte und Richter. Die Wahl der Bildmotive hängt eng mit der Tendenz der Berichterstattung der Illustrierten zusammen. Es scheint als hätte sich die Boulevardpresse gemeinsam gegen die Todesstrafe und die Justiz der Vereinigten Staaten verschworen. Dies verdeutlicht die folgende Analyse der Textbeiträge.

4.3.2.Inhalte der Berichterstattung

Der Großteil der Berichterstattung der Boulevardpresse beschäftigt sich unmittelbar mit der Hinrichtung Chessmans. Die Hinrichtung wird jedes Mal sehr bildhaft, grausam und unmittelbar dargestellt. Die folgende Tabelle gibt eine genaue Übersicht.

Überschriften und Themen in den Boulevard-Zeitschriften
Name Überschrift Themen und Inhalte Umfang
Bunte (Nr. 19/1960) "Ich zahlte die Strafe" Neutrale Darstellung des gesamten Falles,
(Gefangennahme bis zur Hinrichtung)
Einbeziehung der Opfer
7 Seiten
Kristall (Nr. 7/1960) "Chessman: Diesmal stand der Tod in meiner Zelle" Reporter berichtet über Besuch bei Chessman. Ergreifende Ich-Erzählung, eindeutige Parteinahme für Chessman 4 Seiten
Neue Illustrierte (Nr. 20/1960) "Ein Grabstein der Demokratie" Kurze Berichterstattung über die Hinrichtung. Tendenz pro Chessman  1 Seite
Neue Revue (Nr. 18/1960) "Ich hasse euch nicht mehr"
"Der Todeskandidat, der achtmal starb"
Aussöhnung Chessmans mit den Detektiven, die ihn gefangen nahmen 4 Seiten
Quick (Nr. 19/1960) "Der Fall Chessman: AUS!"
"Nach zwölf Jahren Kampf ums Leben - ein legalisierter Mord?" 
Hinrichtung Chessmans, Tendenz: Für die Abschaffung der Todesstrafe 3 Seiten
Quick (Nr. 20/1960) "Der Fall Chessman: Quick-Bericht aus der Todeszelle" Plädoyer gegen die Todesstrafe (Pro Chessman), unter Einbezug der Opfer 7 Seiten

Beispielhaft möchte ich die Berichterstattung der "Bild"-Zeitung zum Tode Chessmans genauer untersuchen.
Auslösend für die umfangreiche Berichterstattung der "Bild"-Zeitung ist die Hinrichtung Chessmans, am 2. Mai 1960. Am 3. Mai erscheint daraufhin eine Titelgeschichte mit der Überschrift "Gestern 18 Uhr in der Gaskammer von St. Quentin: Chessman hingerichtet". Die zu Chessman veröffentlichten Artikel am 3. und 4. Mai beschreiben sehr genau und ausführlich die letzten Minuten im Leben von Caryl Chessman. Dabei wird kein Detail ausgelassen.
Die Artikel über die Hinrichtung Chessmans sind sehr realistisch und dramatisch und doch übertrieben und ähnlich einem Krimi geschrieben. Der Leser bekommt das Gefühl selbst dabei gewesen zu sein. Die "grüngestrichene Gaskammer" und der "durchlöcherte metallene Todessessel" (Bild, 3. Mai 1960, S. 1) finden ebenso Erwähnung wie der "unbekannte Gefängniswärter" der auf einen Hebel drückt, um die Hinrichtung einzuleiten. Dramatisch wird auch das Ausströmen der todbringenden Schwefelsäure geschildert. Ungewöhnlich für die heutige Berichterstattung der "Bild"-Zeitung wird viel Text zum gesamten Fall Chessman angeboten. Teilweise versuchen die Artikel mögliche Gedankengänge Chessmans vor der Hinrichtung aufzuzeichnen:

Als Chessman den Gang in die Wartezelle antrat, wusste er nicht, ob es ihm ein neuntes Mal gelingen würde, dem nahen Tod zu entkommen. Seine Chancen standen am letzten Tag, 24 Stunden vor der Hinrichtung, eins zu einer Million.

Der Leser erfährt außerdem genau, was Chessman am Abend und unmittelbar vor seiner Hinrichtung gegessen hat ("nur Kaffee und Milch und aß etwas Eiscreme"). Der Autor stellt sich die Frage, ob Chessman der Hunger vergangen war, als ihm bewusst wurde, dass es kein Entrinnen vor dem Tod geben würde. Die Artikel berichten nicht nur über die letzten Stunden des Verbrechers Chessman, sondern zeigen außerdem ausführlich die Reaktionen der Öffentlichkeit auf die Hinrichtung auf. Weitere Themen sind der Kauf der Filmrechte an Chessmans Leben durch Marlon Brando, sowie die Veröffentlichung von Chessmans viertem Buch "The kid was a killer".

Der Artikel am 4. Mai 1960 geht besonders ausführlich auf die Reaktionen der Öffentlichkeit auf die Hinrichtung ein. Es werden Auszüge aus Artikeln der großen amerikanischen Zeitungen zitiert, wie zum Beispiel der "Herald Tribune": "Wenige Hinrichtungen haben sich auf solche Weise die häßliche Sinnlosigkeit der Todesstrafe dramatisiert, aus der die menschliche Gesellschaft herausgewachsen sein sollte." Außerdem werden diverse kritische europäische Pressestimmen zum Tode Chessmans zitiert. Die "Bild"-Zeitung berichtet hierbei nicht einseitig. Auch Zeitungen, wie die Turiner "La Stampa" die in der Hinrichtung Chessmans nichts unmenschliches entdecken können, werden zitiert. Wobei die Mehrzahl der Zitate eindeutig im Tenor für Chessman und gegen die Todesstrafe sind. Die Berichterstattung der "Bild"-Zeitung stellt sehr deutlich dar, dass der Protest gegen die Hinrichtung weltweit stattgefunden hat. Aber auch die Stimmen der Opfer werden nicht ausgeschlossen. Interessant ist vor allem der letzte Satz des Aufmachers vom 4. Mai, in dem zunächst erklärt wird, in welchen Ländern die Todesstrafe abgeschafft wurde und warum: "Man sieht in der Todesstrafe eine reine Vergeltungsstrafe, die auf uralter Blutrache beruht und nach modernem Rechtsdenken sittenwidrig sei."
Die "Bild"-Zeitung bezieht zwar deutlich Stellung für Chessman und für die Abschaffung der Todesstrafe, vernachlässigt auf der anderen Seite aber auch nicht die Reaktionen der Opfer darzustellen, wobei diese vom Umfang her klein ausfallen.

Die Berichterstattung der anderen Boulevardblätter ähnelt stark der Darstellung der "Bild"-Zeitung. Hier ein paar Auszüge aus der gemeinsamen Parteinahme der deutschen Presse für Chessman. Die "Neue Illustrierte", die noch emotionaler als die "Bild"-Zeitung berichtet, bezeichnet den Fall Chessman am 2. Mai (S. 9) als " Pearl Harbour der US-Justiz" und als "Grabstein der Demokratie". "Quick" sagt mit dem Fall Chessman zugleich der Todesstrafe den Kampf an: "Dieser Kampf geht die ganze Menschheit an. Das stärkste Argument gegen die Todesstrafe wird immer sein, wie grausam wie unmenschlich, wie menschenunwürdig jede Hinrichtung ist." (Quick 19/1960, S. 14) Und genau dieser Punkt ist typisch für die außeramerikanische Berichterstattung zum Thema Chessman. Chessman und die Abschaffung der Todesstrafe wird als Eines gesehen. Quick außerdem: "Der Fall Chessman ist nur eins von vielen erschütternden Beispielen dafür, daß die Todesstrafe nicht mehr zu verantworten ist." (Quick 20/1960, S. 34)

Zusammenfassend steht die gesamte deutsche Boulevardpresse hinter Chessman und setzt sich für die Abschaffung der Todesstrafe ein. Die Berichterstattung neigt dabei sehr stark dazu die Argumente der Opfer außen vor zu lassen. Die Artikel sind stark von Gefühlen und eigenen Ansichten geprägt und dadurch unkritisch und parteiergreifend, wie die obigen Beispiele zeigen. Chessmans Taten, für den Fall, dass er je schuldig war, finden keinerlei Erwähnung.

Literaturverzeichnis:

Bücher:

Chessman, Caryl: Mein Kampf ums Leben. Wien 1960

Knustler, William M.: Beyond a Reasonable doubt?. The original trial of Caryl Chessman. New York 1961

Zeitungen:

Bild

Chessman hingerichtet, in: Bild, 3. Mai 1960, S. 1 u. letzte Seite.

Die Welt empört sich gegen die Todesstrafe, 4. Mai 1960, S. 1 und letzte Seite.

Die Welt

Caryl Chessman hingerichtet, in: Die Welt, 3. Mai 1960, S. 1.

Chessman starb in der Gaskammer, in: Die Welt, 3. Mai 1960, S. 12.

Chessman und unser Gewissen, in: Die Welt, 4. Mai 1960, S. 16.

Die Zeit

Caryl. W. Chessman, in: Die Zeit, 6. Mai 1960, S. 3.

Sueddeutsche Zeitung

Chessman hingerichtet, in: Sueddeutsche Zeitung, 3. Mai 1960, S. 1 u. S. 20

Nach Chessmans Hinrichtung, in: Sueddeutsche Zeitung, 4. Mai 1960, S. 1.

Über Chessmans Hinrichtung empört, in: Sueddeutsche Zeitung, 4. Mai 1960, S. 4.

Weltweite Empörung über Chessmans Hinrichtung, in: Sueddeutsche Zeitung, 4. Mai 1960, S. 22

Streit um Chessmans Asche, in: Sueddeutsche Zeitung, 5. Mai 1960, S. 24.

Zur Hinrichtung Chessmans, in: Sueddeutsche Zeitung, 7. Mai 1960, S. 66.

Mörder erschreibt sich die Begnadigung, in: Sueddeutsche Zeitung, 9. Mai 1960, S. 7.

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Chessman hingerichtet, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. Mai 1960, S. 1.

Caryl Chessman in der Gaskammer hingerichtet, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. Mai 1960, S. 5.

Chessmans Ende, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. Mai 1960, S. 2.

Heftige Reaktion auf die Hinrichtung Chessmans, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. Mai 1960, S. 6.

Noch keine Ruhe für Chessman, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. Mai 1960, S. 7.

Eine Tochter Chessmans, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6. Mai 1960, S. 7.

Gaskammertod erst nach acht Minuten?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. Mai 1960, S. 5.

Frankfurter Rundschau

Fall Chessman erregt die ganze Welt, in: Frankfurter Rundschau, 3. Mai 1960, S. 1 u. S. 12.

Entrüstung über Chessmans Tod, in: Frankfurter Rundschau, 4. Mai 1960, S. 1 u. S. 20.

Zwei Briefe des Toten von San Quentin, in: Frankfurter Rundschau, 4. Mai 1960, S. 20.

Kampf gegen Todesstrafe lebt auf, in: Frankfurter Rundschau, 5. Mai 1960, S. 12.

Schwieg Chessman mit Rücksicht auf seine Tochter, in: Frankfurter Rundschau, 6. Mai 1960 S. 20.

Zeitschriften:

Bunte

Caryl Chessman: Ich zahlte die Strafe, in: Bunte, Nr. 19/1960, S. 2-6 u. S. 24.

Der Spiegel

Maus oder Katze, In: Der Spiegel, Nr. 11/1960, S. 53-64.

Kristall

Chessman: Diesmal stand der Tod in meiner Zelle, in: Kristall, Nr. 7/1960, S. 16-19.

Neue Illustrierte

Ein Grabstein der Demokratie, in: Neue Illustrierte, Nr. 20/1960.

Neue Revue

Ich hasse euch nicht mehr, in: Neue Revue, Nr. 30/1960, S. 8-9 u. S. 60-61.

Quick

Nach zwölf Jahren Kampf ums Leben - ein legalisierter Mord?, in: Quick, Nr. 19/1960, S. 14-16.

Der Fall Chessman, in: Quick, Nr. 20/1960, S. 34-43.

Endnoten

[1] Das Kind des Nationalhelden Oberst Lindbergh wurde 1932 entführt und ermordet. Unter dem Druck der Öffentlichkeit entwarf und verabschiedete das amerikanische Parlament scharfe Sondergesetze gegen "Kidnapping".[zurück]

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