Deutsch-Amerikanischer Almanach

Philipp Graf
Glücksspiel auf indianischen Reservaten

Einleitung

Die Geschichte der Indianer in Nordamerika - das ist eine Geschichte voller Leiden und Diskriminierung. Hunderttausende starben während der Kolonialisierung des amerikanischen Kontinents, in den folgenden Jahrhunderten wurden ebenso viele aus ihren Jagdgründen vertrieben und auf Reservate verbannt. Es dauerte nicht lange und die Ureinwohner wurden eine kleine Minderheit in ihrem eigenen Land. Bis in die 1960er Jahre wurde eine von der Regierung sanktionierte Diskriminierungspolitik betrieben, die die Indianer ihrer ureigensten Rechten beraubte und ihnen keine Chance ließ, ihre Situation durch Eigeninitiative zu verbessern. Erst mit Aufkommen der Bürgerrechtsbewegung Ende der 1960er wurde ihnen unter dem Schlagwort "Selbstbestimmung" so etwas wie ein Recht auf ein eigenes Leben gewährt. In den 1970ern hatte ihre politische Mobilisierung schließlich so an Kraft gewonnen, daß sich die Bundespolitik gegenüber den Indianern langsam änderte. Die Bundesregierung fing damit an, ihnen die Verwaltung über ihre eigenen Reservate zu übertragen. Durch den Indian Self-Determination Act von 1974 erhielten sie die Möglichkeit, auf ihren Reservaten selbst staatliche Förderungsprogramme zu kontrollieren. Positive Entwicklungen wie diese hatten zur Folge, daß die Zahl der Indianer seit langer Zeit wieder einmal anstieg. Und zwar nicht zuallererst dadurch, daß sie sich auf natürliche Weise vermehrten, sondern dadurch, daß sich immer mehr zu ihrer indianischen Identität bekannten - sei es aus Stolz über die eigene Abstammung oder einfach nur deswegen, weil sie sich von ihrer Stammeszugehörigkeit ganz konkrete Vorteile erhofften. Erwähnt seien dabei z.B. die verbesserten Aussichten auf einen Arbeitsplatz durch "affirmative-action"-Programme oder die Hoffnung, etwas vom Kuchen eines neuen Reichtums abzubekommen, den sich einige Indianerstämme innerhalb kürzester Zeit aufgebaut hatten. (vgl. Boyer, S. 1031) Eines Reichtums, der sich auf ein Phänomen begründet, das in den späten 1970ern seinen Anfang nahm und heute zu einer Industrie mit Milliardengewinnen herangereift ist: das Glücksspiel. Genau dieses Phänomen soll hiermit einer genaueren Betrachtung unterzogen werden.

Der Status Quo

Das seit den 1970er Jahren schrittweise eingeführte Recht auf Selbstbestimmung zeigte Wirkung, wenn auch von Stamm zu Stamm in unterschiedlichem Ausmaß.

Einer der Bestandteile der noch relativ neuen Politik der Selbstbestimmung ist der, Indianern das Recht einzuräumen, auf ihren Reservaten Glücksspiel zu betreiben. So kontrovers dieses Thema seit seinem Bestehen auch diskutiert wurde - die Zahlen scheinen für sich zu sprechen. Im März 1999 etwa hatten mit 198 circa ein Drittel der 558 von der Bundesregierung anerkannten Indianerstämme mit ihren zuständigen Staaten Verträge geschlossen, die ihnen erlauben, Glücksspiel in großem Rahmen, sprich Casinos zu betreiben. (vgl. indiangaming.org/proceeds) Hinzu kommen kleinere Glücksspielbetriebe wie beispielsweise Bingohallen, die keine Verträge erfordern (mehr zu den genauen formellen Anforderungen später). Sie haben damit einen Umsatz von circa 7,4 Milliarden Dollar gemacht - seit 1974 eine Steigerung von über 3000 Prozent (vgl. Schenz).

Doch so überwältigend diese Zahlen auch klingen mögen, die indianische Realität bleibt weit dahinter zurück. Mit nur 1% Bevölkerungsanteil sind die Indianer die kleinste Minorität der USA. Keine andere Bevölkerungsgruppe hat einen vergleichbar schlechten Lebensstandard wie sie. Über 30% der auf Reservaten wohnenden Indianer leben in Armut - im Rest des Landes sind es circa 13%. Eine Arbeitslosenrate von über 50% ist normal, von über 80% keine Seltenheit. Zum Vergleich: sind im restlichen Amerika nur 6% arbeitslos, spricht man schon von Rezession, 9% sind eine ausgewachsene Depression. (vgl. indiangaming.org/proceeds). Nur 54% haben einen Schulabschluß (USA: 76%), 17% leben in Unterkünften ohne fließend Wasser (USA: 1,2%). Hinzu kommen Alkoholismus, Krankheiten, Kriminalität, eine größere Anzahl von Morden und Selbstmorden als im weißen Durchschnittsamerika. All dies läßt die Lebenserwartung der Reservatsindianer auf nur 47 Jahre sinken (USA: 78 Jahre). (vgl. Schenz)

In dem Maße wie das Glücksspiel einigen Stämmen zu teilweise immensem Reichtum verholfen hat, birgt es gleichzeitig die Gefahr, ein Bild des wohlhabenden Indianers zu schaffen, mit dem das weiße Amerika sein Gewissen beruhigen kann, auf dem es sich ausruhen kann und das die eigentlichen Probleme der Indianer kaschiert. Doch neben dieser Gefahr bietet es ihnen auch eine in ihrer Geschichte einmalige Chance: die Rückerlangung ihrer Souveränität durch Unabhängigkeit von staatlichen Zahlungen sowie den eigenständigen Aufbau und selbständig verantworteten wirtschaftlichen Fortschritt ihrer Reservate.

Zur Geschichte des indianischen Glücksspiels

Glücksspiel mit hohen Gewinnen, wie dies z.B. in Casinos der Fall ist, entwickelte sich Ende der 1970er Jahre auf Initiative der in Florida lebenden Seminole-Indianer. Zu dieser Zeit eröffneten sie auf ihrem Reservat eine Bingohalle. Um Spieler anzulocken richteten sie Jackpots ein, die einen höheren Geldbetrag beinhalteten als die vom Staate Florida genehmigten 100 Dollar. Robert Butterworth, der Sheriff des zuständigen Counties, drohte ihnen mit Verhaftung, da ihr Vorgehen gegen die Bingo-Statuten Floridas verstoße. Daraufhin zogen die Seminoles mit der Begründung vor Gericht, daß diese Statuten auf ihrem Reservat nicht in den Zuständigkeitsbereich des Staates fallen würden. Im Gerichtsfall Seminole Tribe of Florida v. Butterworth entschieden die Richter 1983 zugunsten der Indianer. Sie urteilten, die Seminoles fíelen in diesem Fall nicht unter die Rechtssprechung des Staates Florida und könnten deshalb auch nicht wegen eines Gesetzesverstoßes verfolgt werden. Die eigentliche Aussage dieser Entscheidung war jedoch: verbietet ein Staat nicht explizit eine bestimmte Version eines Glücksspiels, so kann ein Indianerstamm diese Version auch ohne staatliche Regulierung anbieten. In einem zweiten Gerichtsfall im Jahr 1987, bei dem es um einen sehr ähnlichen Fall ging - California v. Cabazon Band of Mission Indians - wurde das Urteil von 1983 bestätigt. (vgl. Spilde, S.4f.) Die praktische Folge dieser Urteile war die, daß die Bundesstaaten so gut wie keine Kontrolle mehr über den Glücksspielbetrieb der auf ihrem Gebiet befindlichen Reservate hatten.

Um wenigstens ein Mindestmaß an Kontrolle zu gewinnen, setzten sie sich für die Verabschiedung eines Gesetzes ein, das zuallererst als ein Instrument gedacht war, das Recht der Indianer auf einen eigenen Betrieb von Glücksspiel anzuerkennen. Die Kongressabgeordneten hatten jedoch darüber hinaus im Hinterkopf, die Interessen der Indianer und die der Staaten sowie der Glücksspielindustrie gegeneinander auszubalancieren. Was herauskam war der Indian Gaming Regulatory Act von 1988. (vgl. Anders, S.99)

Der Indian Gaming Regulatory Act von 1988

a) Die Schaffung von verschiedenen Spielklassen

Ein zentraler Punkt dieses Gesetzes ist die Unterteilung des Glücksspiels in drei verschiedene Klassen. Klasse 1 beinhaltet traditionelle kulturelle Formen des indianischen Glücksspiels - oft in Verbindung mit Zeremonien und Stammesfeiern - bei denen es nur um geringe Geldbeträge geht. Diese Art des Glücksspiel wird alleine von den Stämmen kontrolliert. Glücksspiel der Klasse 2 beinhaltet Bingo sowie einige "harmlose" Kartenspiele. Reguliert werden die Klasse-2-Spiele von der National Indian Gaming Commission sowie durch die Stämme mittels eigener Spielkommisionen. Blackjack, Baccarat, einarmige Banditen, Roulette und andere extremere Formen des Glücksspiels fallen allesamt unter die Klasse 3. Diese unterliegt den strengsten Auflagen, die individuell in Verträgen zwischen den Stämmen und den zuständigen Staaten ausgehandelt werden. (vgl. indiangaming.org/regulation)

b) Die Aushandlung von Verträgen

IGRA verlangt von beiden Seiten, sich in solchen Verträgen auf bestimmte Auflagen zu einigen. Erst dann kann eine Klasse-3-Glücksspieleinrichtung ihren Betrieb aufnehmen. Ausgehandelt wird zum Beispiel, welche Arten von Glücksspiel angeboten werden dürfen, wie hoch die Wetteinsätze sein dürfen, welche Kontrollauflagen bestehen werden oder wie die Sicherheitsauflagen aussehen sollen. (vgl. Anders S.99)

Der Verhandlungsprozeß sieht normalerweise wie folgt aus:

In einem ersten Schritt bittet ein interessierter Stamm seinen zuständigen Staat, in gemeinsame Verhandlungen einzutreten. Der Staat muß dieser Bitte nachkommen und versuchen, gemeinsam mit dem Stamm "in guter Absicht" einen Vertrag auszuhandeln. Tut er dies nicht, kann der Stamm gegen den Staat vor das Bundesgericht ziehen. Entscheidet das Gericht, der Staat habe nicht "in guter Absicht" verhandelt, muß es beide Verhandlungspartner dazu aufrufen, innerhalb von 60 Tagen zu einem Vertragsabschluß zu kommen. Kommt es wieder nicht zu einer Einigung, wird ein Mittelsmann eingeschaltet, der die verschiedenen Positionen gegeneinander abwägt und ein für beide Seiten möglichst zufriedenstellendes Vertragsgerüst entwirft. Stimmt der Staat zu, ist der Vertrag perfekt. Tut er dies nicht, entscheidet das US-Innenministerium. Alles in allem haben die Indianer in diesem Verhandlungsprozeß wohl die besseren Karten - in den meisten Fällen waren sie deshalb bis jetzt erfolgreich. (vgl. Spilde, S.6f.) Bis 1999 kam es immerhin zwischen 198 der 558 von der US-Regierung anerkannten Indianerstämme und ihren zuständigen Staaten zu Vertragsabschlüssen. (vgl. indiangaming.org/proceeds)

Es mehren sich jedoch seitens der Staaten die Stimmen gegen oben beschriebenen Ablauf. Vor allem die Frage, ob er verfassungsgemäß und mit dem 11. Amendment vereinbar ist, dürfte in nächster Zeit für Indianer, die ebenfalls planen, in Zukunft auf ihrem Reservat Klasse-3-Glücksspiel zu betreiben, von höchstem Interesse sein. (vgl. Spilde, S.7) So klagte schon 1991 der Staat Alabama, daß der Kongress nicht das Recht hätte, Staaten der Rechtssprechung von Bundesgerichten zu unterstellen. (vgl. Anders, S.105) Sollte also ein Gericht entscheiden, daß oben beschriebener Verhandlungsablauf nicht der Verfassung entspreche, könnte die gerade erschlossene Quelle des neuen Reichtums schnell wieder versiegen. (vgl. Spilde, S.7) Ein anderes mögliches Argument der Staaten ist das 10. Amendment. Ebenfalls 1991 argumentierte der Staat Arizona auf dessen Grundlage, es wäre nicht verfassungsgemäß, daß der Kongress Staaten zu Verträgen mit Indianerstämmen zwingt. (vgl. Anders, S.105)

c) Die verschiedenen Zuständigkeitsbereiche

Mit dem Indian Gaming Regulatory Act hat der Kongress einen Gesetzesrahmen geschaffen, um das Glücksspiel auf indianischen Reservaten auf vier verschiedenen, voneinander abhängigen Ebenen zu kontrollieren: auf der Stammesebene, der staatlichen, der Bundesebene (vertreten durch das Innen- und Justizministerium, den Internal Revenue Service, das FBI und das Bureau of Indian Affairs) sowie durch die National Indian Gaming Commission. Den Stammesregierungen fallen neben der Vertragsverhandlung Aufgaben zu wie zum Beispiel der Aufbau einer eigenen Spielkommission, die Ausgabe von Lizenzen für den Spielbetrieb oder die Verbrechensbekämfung durch die Bereitstellung stammeseigener Polizeikräfte. Die wichtigste Aufgabe der Staaten ist es, sich nach Vertragsabschluss um die Durchsetzung der vereinbarten Auflagen zu kümmern. Dies geschieht zum Beispiel durch Überprüfung der Angestellten und Betreiber der Casinos. Auf Bundesebene ist das Innenministerium dafür verantwortlich, die geschlossenen Verträge abzusegnen, über Pläne der Stämme für die Verwendung der Einnahmen aus den Casinos zu entscheiden, sowie zu klären, welche Teile der Reservate als Bauland für Casinos ausgewiesen werden dürfen. Das Justizministerium kontrolliert die Einhaltung der Glücksspielgesetze, überprüft führende Angestellte und führt Untersuchungen zu Auswirkungen des Glücksspiels auf Indianerreservaten durch. Das FBI und das Bureau of Indian Affairs müssen auf Reservaten verübten Verbrechen nachgehen. In den Aufgabenbereich der National Indian Gaming Commission fällt die Kontrolle des gesamten Glücksspielbetriebs. Bei Nichteinhaltung der Gesetze kann sie Geldstrafen verhängen oder Glücksspieleinrichtungen schließen lassen. (vgl. Anders, S.100)

d) Steuern

IGRA befreit die Stämme von der Umsatz-, Einkommens- und Grundstückssteuer. (vgl. Marquette Advisors, S.11) Das heißt jedoch nicht, daß die Indianer vollkommene Steuerfreiheit genießen. Sie sind verpflichtet, für alle nichtindianischen sowie für die nicht stammeszugehörigen Angestellten Einkommenssteuer, Arbeitslosen- und Sozialversicherung an Staat und Bund abzuführen. Ferner müssen sie die Finanzbehörde über Spielgewinne informieren und Einkommenssteuer aus Gewinnen nicht stammeszugehöriger Spieler oder Auszahlungen von mehr als 6400 Dollar aus Casinoeinnahmen an Stammesmitglieder zahlen. (vgl. Anders, S.101f.) Bedenkt man dabei, daß fast 80% der Angestellten keine Indianer sind (vgl. Deloitte&Touche, S.19), so kann man davon ausgehen, daß die Casinos eine lohnenswerte Einnahmequelle für Staat und Bund darstellen.

e) Die Verwendung der Casinoeinnahmen

Doch nicht nur die Frage, was alles passieren muß, damit auf indianischen Reservaten überhaupt erst einmal Casinoeinnahmen in die Stammeskassen fließen, wird durch IGRA geklärt. Auch was mit diesen Einnahmen passieren darf, legt das Gesetz fest. Es ist nämlich ausschließlich dazu bestimmt, die politische Infrastruktur der Stämme zu finanzieren, soziale Einrichtungen auf den Reservaten zu schaffen oder aufrechtzuerhalten sowie den wirtschaftlichen Fortschritt zu unterstützen. Wie genau die Gelder verwendet werden ist Sache der Stammesregierung. Üblich sind zum Beispiel der Bau von Wohnungen, Schulen, Krankenhäusern, Kindergärten, Altenheimen sowie Inverstitionen in die Infrastruktur der Reservate wie etwa der Bau von Straßen, Kanal- und Abwassersystemen. Aber auch soziale Institutionen werden finanziert. So gehen Gelder an Alkohol- und Drogentherapiezentren oder junge Indianer, die sich das normalerweise nicht leisten könnten, werden auf Colleges geschickt -um dann etwa nach ihrem Schulabschluß auf die Reservate zurückzukehren und dort eine führende Position in einem Casino zu übernehmen. (vgl. Anders, S. 102) Einige Stämme investieren darüber hinaus in den Erhalt der stammeseigenen Kultur. Sprache, Religion sowie Rituale und Zeremonien werden so vor dem Aussterben bewahrt.

Andere Mittel, das Fortbestehen des eigenen Stammes zu unterstützen, sind zum Beispiel der Rückkauf enteigneten Landes, die Rückführung verloren gegangener archäologischer Schätze sowie der Kampf um Rechte auf natürliche Vorkommen wie Wasser, Öl, Gas, Mineralien oder Fischgründe, um so Zugang zu zusätzlichen Ressourcen zu bekommen und den ökonomischen Fortschritt zu garantieren. (vgl. Cornell, S.61)

Andere Stämme dagegen gehen einen ganz anderen Weg: Sie haben sich dazu entschlossen, die Einnahmen aus den Casinos direkt an ihre Mitglieder zu verteilen. Hierzu brauchen sie jedoch die Zusage der Behörden, denen sie genau aufschlüsseln müssen, wer welchen Anteil an den Gewinnen erhält.(vgl. Cornell, S.57) Angesichts der relativ unsicheren Zukunft sind die Stämme aber wohl am besten beraten, zusätzlich in andere Wirtschaftszweige zu investieren und so die wirtschaftliche Basis ihrer Reservate zu erweitern. Nur so können sie sich finanziell absichern gesetzt den Fall, die Gesetze werden geändert und sie werden nicht mehr in dem Maße von ihren Casinos profitieren, wie das zur Zeit noch der Fall ist. (vgl. Anders, S. 102)

Wirtschaftliche und soziale Auswirkungen

Daß die Eröffnung eines Casinos auf einem Indianerreservat für den verantwortlichen Stamm eine völlig neue wirtschaftliche Situation schafft ist offensichtlich. Daß aber auch dessen gesamtes Sozialleben enorm betroffen ist, wird erst auf den zweiten Blick deutlich. Keiner der auf dem Reservat lebenden Menschen kann sich dieser Situation entziehen - genauso wenig wie die nichtindianische Bevölkerung, die in den angrenzenden Gebieten wohnt. Man darf sich also die Reservate keinesfalls als autarke Inseln vorstellen, die abgeschottet vom Mainstream-Amerika existieren und keinerlei Einfluß auf das Leben "draußen" haben. Im Gegenteil: der Einfluß der Casinos ist enorm. Er bringt auf beiden Seiten - außerhalb wie innerhalb der Reservate - positive und negative Konsequenzen mit sich.

a) Wirtschaftliche Auswirkungen auf die Reservate

Auch wenn in der Öffentlichkeit oft das Bild des durch die Casinos zu Reichtum gelangten Indianers propagiert wird: die wirkliche Situation ist wie bereits zu Beginn dargestellt vollkommen anders. Nur ein geringer Teil der Reservate profitiert wirklich in größerem Maße davon. Wie eine Studie des Government Accounting Office zeigte, waren nur 13% der indianischen Klasse-3-Glücksspielbetriebe für immerhin 59% des Gesamtumsatzes aller in der Studie berücksichtigten Casinos verantwortlich. Darüber hinaus hatten die indianischen Spielstätten 1995 einen Anteil von insgesamt nur 10% an der gesamten US-amerikanischen Glücksspielindustrie.

Trotz dieser ernüchternden Zahlen: durch die Casinos haben viele Indianer wieder die Chance auf einen Arbeitsplatz in ihrem Reservat bekommen. So hat zum Beispiel eine Studie gezeigt, daß die Arbeitslosenrate von 214 untersuchten Stämmen vor Einführung des Indian Gaming Regulatory Acts 1989 bei 38% lag. 1995 war sie bei denjenigen Stämmen, die mittlerweile ein Casino eröffnet hatten, auf 13% gesunken. Bei denen, die das nicht getan hatten, blieb sie unverändert hoch. (vgl. Cornell, S. 31ff.)

Zwar verdienen die Angestellten der Casinos weniger als Angestellte in benachbarten counties oder anderen Teilen des Staates. Vergegenwärtigt man sich jedoch die vor dem Bau der Spielhallen im Vergleich zum US-Durchschnitt vier mal höhere Arbeitslosenrate auf den Reservaten, ist dies nicht weiter verwunderlich. Denn warum sollte gerade hier nicht das vertraute Gesetz von Angebot und Nachfrage die Löhne bestimmen? Darüber hinaus ist die Arbeit in den Casinos die bestbezahlte in den Reservaten überhaupt. (vgl. ebd., S.35f.)

Wichtigster Effekt der sinkenden Arbeitslosenquoten für die Indianer: die neuen Arbeitsplätze bringen eine neu gewonnene Unabhängigkeit von staatlichen Hilfsleistungen und schaffen somit finanzielle Eigenständigkeit. Und auch für die Staaten und den Bund hat dies gleich zwei positive Effekte: zum einen vermehrte Steuereinnahmen für die Finanzbehörden, zum anderen massive Einsparungen im Bereich der Sozialleistungen für ehemalige Arbeitslose. (vgl. Anders, S.103) Doch mehr dazu später.

Oft stellen die Casinos auch das Sprungbrett für einen Einstieg in viele weitere Industriezweige dar. Denn neben der Schaffung neuer Arbeitsplätze übernehmen sie eine andere, ebenso wichtige Funktion: sie geben den Stämmen die Möglichkeit, Erfahrung zu sammeln im alltäglichen Wirtschafts- und Berufsleben. Erfahrung, die dringend notwendig ist, um den wirtschaftlichen Einstieg in andere Branchen zu schaffen und sich neben dem Glücksspiel weitere wirtschaftliche Standbeine aufzubauen. Da werden zum Beispiel die Casinos zu wahren Freizeitparks ausgebaut mit angegliederten Hotels, Restaurants, Einkaufs- und Konferenzzentren, es wird in Bauunternehmen und Zulieferbetriebe für Autoersatzteile investiert, man unterstützt Sportteams oder gründet eine eigene Bank. Der Phantasie sind also keine Grenzen gesetzt - außer den finanziellen. (vgl. Cornell, S.37f.)

b) Wirtschaftliche Auswirkungen auf umliegende Regionen

All diese wirtschaftlichen Aktivitäten rufen jedoch auch Kritiker aus den umliegenden Regionen auf den Plan, die befürchten, die indianischen Casinos würden ihre Umsätze auf Kosten ihrer eigenen Geschäfte machen. Ein Schwerpunkt liegt hier vor allem im Bereich des Einzelhandels sowie der Freizeit- und Unterhaltungsindustrie. Daß diese Befürchtungen nicht unberechtigt sind, zeigt eine 1993 in Minnesota durchgeführte Studie. Sie kam zu dem Ergebnis, daß seit dem Zeitpunkt der Eröffnung nahegelegener indianischer Casinos fast 38% der Restaurants und Hotels Umsatzeinbußen zu verzeichnen hatten. Eine andere Studie, die die Auswirkungen auf den Einzelhandel untersuchte, rückte die Casinos dagegen in ein besseres Licht. Von neun untersuchten Fällen in verschiedenen Staaten wie Wisconsin, Minnesota oder North Dakota haben in sechs die angrenzenden Counties anscheinand von den indianischen Casinos profitiert und konnten stärkere Umsatzzuwachsraten verbuchen als dies durchschnittlich im Staat der Fall war. Auch wenn dieses Ergebnis nicht reicht, um einen positiven Kausalzusammenhang zwischen der Eröffnung eines Casinos und dem Umsatz des Einzelhandels in den umliegenden Gebieten herzustellen, ist es doch zu einfach, negative Geschäftsentwicklungen außerhalb der Reservate nur den Casinos zuzurechnen. (vgl. Cornell, S.43f.)

Um dem gesamten Spektrum des wirtschaftlichen Einflusses der Casinos Rechnung zu tragen, darf man darüber hinaus keinesfalls die wirtschaftlichen Multiplikatoren außer Acht lassen, die in ihnen ihren Ursprung haben. Unter diesen Multiplikatoren versteht man den Anteil eines jeden Dollars, der im Casino umgesetzt wurde und wieder in die umliegende Wirtschaft zurückfließt. Dies geschieht zum Beispiel durch Löhne, die an nichtindianische und stammeseigene Angestellte ausgezahlt und schließlich in den angrenzenden counties in Häuser oder Autos investiert werden. Dies geschieht aber auch dann, wenn ein Casino entsteht oder expandiert und ein nicht vom Reservat stammender Bauunternehmer mit dem Bau beauftragt wird. Wirtschaftliche Multiplikatoren beinhalten demnach die gesamten wirtschaftlichen Folgeaktivitäten durch Zulieferbetriebe etc., die durch die Ausgaben der Casinos entstehen. (vgl. Cornell, S.45)

c) Soziale Auswirkungen auf die Reservate

Eng verbunden mit den wirtschaftlichen Konsequenzen sind die Auswirkungen auf das soziale Leben auf den Reservaten. Wie genau jedoch sich die Eröffnung von Casinos in einer Veränderung der sozialen Landschaft widerspiegelt, läßt sich erst nach einer Auswertung des nächsten Zensus feststellen. Nichtsdestotrotz gibt es Indikatoren, die bereits einige Hinweise darauf geben.

Wie bei den wirtschaftlichen Auswirkungen spielt auch bei den sozialen der Rückgang der Arbeitslosigkeit eine enorm wichtige Rolle. Auffällig ist, daß gerade diejenigen Stämme danach strebten, mit ihren zuständigen Staaten Verträge über die Einrichtung von Casinos abzuschließen, die von der Arbeitslosigkeit am härtesten betroffen waren. Daraus ist zu schließen, daß genau dieser Weg für viele Stammesregierungen der adäquate schien, um die drängendsten ökonomischen und sozialen Probleme anzugehen. Ob es der richtige ist, kann man momentan aufgrund mangelnder Daten noch nicht genau sagen. Denn es gibt zwar in der Wissenschaft viele Hinweise darauf, daß sich eine Verringerung der Arbeitslosenquote direkt in einer Verbesserung der sozialen Umstände einer Gesellschaft widerspiegelt. So soll zum Beispiel durch Arbeitlosigkeit die Sterblichkeitsrate ansteigen, begründet vor allem durch eine vermehrte Anzahl von Selbstmorden und Lungenkrebs.

Ferner verbindet man mit ihr eine höhere Anfälligkeit für Depressionen und Angstzustände sowie häufigeren Gebrauch von Alkohol und Tabak. Eng verbunden damit ist ein häufigeres Auftreten von Gewalt in der Familie sowie eine höhere Scheidungsrate.

Die zum heutigen Zeitpunkt vorhandenen Daten zeigen dennoch ein eher negatives Bild. So haben Studien Anfang der 1990er Jahre gezeigt, daß Indianer anfälliger gegenüber dem Mißbrauch von Tabak, Alkohol und Drogen sind als fast alle anderen ethnischen Gruppen. (vgl Cornell, S.56ff.) Problematisch für die Reservate ist darüber hinaus ein Anstieg der Spielsucht. Hier geht man davon aus, daß ein Spielsüchtiger wirtschaftliche Folgeschäden zwischen jährlich 12000 und 50000 Dollar verursacht.

Anzeichen gibt es auch für eine Unterminierung der kulturellen Identität der Indianer. Zum einen ist dies darauf zurückzuführen, daß immer mehr Amerikaner die Mitgliedschaft zu bestimmten erfolgreichen Indianerstämmen für sich beanspruchen, um so an deren neuem Reichtum teilzuhaben. Zum anderen sind die Casinos als Sinnbild einer westlichen Kommerzkultur mit dafür verantwortlich, die traditionelle indianische Kultur zerstören. (vgl. Anders, S.104f.)

Doch es gibt auch positive Effekte. So scheint es, daß die Verbrechensraten in Reservaten mit Casinos stagnieren oder sogar rückläufig sind. Zum einen ist dies zurückzuführen auf eine Verringerung der Arbeitslosenquote, zum anderen scheinen die mit Eröffnung der Casinos einhergehenden Kontrollmechanismen passend, Verbrechen einzudämmen. Indianerstämme sind dazu verpflichtet, einen Teil ihrer Einnahmen dafür aufzuwenden, adäquate Sicherheitsmaßnahmen zu schaffen. Von diesem Geld finanziert werden zum Beispiel Videokameras, die eine ständige Kontrolle der Besucher und Angestellten ermöglichen. Casinos werden so zu einem höchst ungeeigneten Ort für Verbrechen. Ein übriges tun gut ausgebildete Polizeitruppen, ebenfalls ermöglicht durch die Einnahmen, Sie sorgen für Sicherheit auf dem gesamten Reservat. (vgl. Cornell, S. 73f.)

Positiv auswirken auf das Sozialleben in den Reservaten dürften sich vor allem auch die Bestimmungen des Indian Gaming Regulatory Act, die den Stämmen genau vorschreiben, wie sie die Profite aus den Casinos verwenden müssen: unter anderem nämlich für das soziale Wohlergehen aller Stammesmitglieder. (vgl. Cornell, S.57) Durch den Bau von Krankenhäusern oder Alkohol- und Drogentherapiezentren scheint man so nicht nur die Probleme angehen zu wollen, die schon vor der Casino-Ära bestanden, sondern auch denjenigen Rechnung zu tragen, die erst danach auftraten.

Alles in allem wird es für die Stämme sehr schwer, die in Jahrzehnten entstandenen sozialen Mißstände auf ihren Reservaten zu verbessern oder gar zu beseitigen. Denn zum einen sind die einzelnen Faktoren dieser Mißstände sehr eng miteinander verbunden - oft bringt ein Übel ein weiteres mit sich, es bildet sich ein Teufelskreis, den zu durchbrechen fast unmöglich ist. So führt etwa der übermäßige Alkoholmißbrauch, begründet durch Arbeitslosigkeit, Frustration und Langeweile, zu Schädigungen beim Fötus. Dies ruft bei Kindern oft Lernschwierigkeiten hervor. Die Folge sind Probleme in der Schule, Jugendliche gehen schneller ohne Abschluß ab und haben so wiederum geringere Chancen auf dem Arbeitsmakt.

Darüber hinaus muß man erkennen, daß viele soziale Probleme, sei dies innerfamiliäre Gewalt, Scheidung oder eben auch Drogen- und Alkoholmißbrauch, nicht direkt mit Hilfe der Einnahmen aus den Casinos und den daraus ermöglichten Ausgaben auf dem sozialen Sektor zu lösen sind. So müssen die Indianer wohl noch einen weiten Weg gehen, bis sie auch annähernd nur einen sozialen Wohlstand erreicht haben, wie er in weiten Teilen des Landes existiert. (vgl. ebd., S.60)

Beispiele ausgewählter Indianerstämme

Wie aber sieht die Entwicklung einzelner Reservate nun konkret aus? Was ist wirklich passiert, nachdem Casinos den bisherigen "Way of Life" der betroffenen Indianer so tiefgreifend verändert haben? Genauer veranschaulichen sollen dies im Folgenden die Fallbeispiele verschiedener Stämme.

a) Der Standing Rock Sioux Tribe in North / South Dakota

Die Standing Rock Sioux waren Ende der 1980er Jahre einer der Stämme mit den schlechtesten wirtschaftlichen und sozialen Zuständen überhaupt. 1989 lag die Arbeitslosenquote bei 87%, vier Jahre später bei immerhin noch 63%. 1994 eröffneten sie ein Casino auf ihrem Reservat (vgl. Cornell, S.33), das aber im Vergleich zu denen anderer Stämme relativ klein und etwas weiter entfernt vom großstädtischen Zielpublikum gelegen ist. (vgl. ebd., S.69) Zwar sank die Zahl der Arbeitslosen um zweistellige Prozentzahlen (vgl. ebd., S.33), die Zustände verbesserten sich insgesamt jedoch nicht allzu sehr. In letzter Zeit kam es sogar zu einem sprunghaften Anstieg der Selbstmordrate unter jungen Bewohnern, dazu bleiben auch andere soziale Probleme wie Alkoholismus, heruntergekommene Häuser oder innerfamiliäre Gewalt akut. (vgl. ebd., S.69) Da das Casino nicht genügend Profit abwirft, ist der Stamm immer noch enorm von staatlichen Zahlungen abhängig - 1997 bestritt er 66% seines Budgets aus diesen Geldern. (vgl. ebd., S.63) Dennoch: die Sioux haben mit Hilfe der Casinoeinnahmen in eine Reihe erfolgreicher Geschäftszweige investiert, darunter in ein an das Casino angeschlossenes Hotel und Kaufhaus sowie in einen Freizeitpark mit Yachtanlegestelle an einem nahegelegenen See. (vgl. ebd., S.38) Circa ein Viertel der Einnahmen werden für Sozialprojekte verwendet. So wurden zum Beispiel 1997 für eine halbe Milion Dollar Häuser für Stammesmitglieder gebaut, fast 200000 Dollar gingen in ein Ernährungsprogramm für ältere Reservatsbewohner, circa 160000 Dollar wurden in die Verkehrsinfrastruktur des Reservats gesteckt. Darüber hinaus hat der Stamm begonnen, enteignetes Land zurückzukaufen sowie ein computergesteuertes Übersetzungsprogramm für die eigene Sprache zu finanzieren, das Schulkindern zugängig gemacht werden soll. (vgl. ebd., S69f.) Alles in allem hat das Casino also dazu beigetragen, die schon Jahrzehnte bestehenden schlechten Zustände etwas zu verbessern. Von einem durchschlagenden Erfolg kann jedoch nicht die Rede sein. Bis der Lebensstandard der Standing Rock Sioux auch nur annähernd an den des durchschnittlichen Amerika heranreicht, müssen wohl noch viele Karten gemischt und viele Würfel geschmissen werden.

b) Die Oneida in Wisconsin

Wesentlich besser erging es dagegen den Oneida, deren Reservat ein paar Meilen südwestlich von Greenbay, Wisconsin, liegt. Noch Anfang der 90er Jahre war das Leben dort ziemlich rückständig. (vgl. Schenz, S.1f.) Mit 19% war die Arbeitslosenquote 1991 für einen Indianerstamm zwar relativ gering (vgl. Cornell, S. 33), viele Bewohner lebten dennoch in Armut, hausten in Wohnwagen ohne fließend Wasser. Nicht lange nach Verabschiedung des Indian Gaming Regulatory Act stiegen sie dann voll in das Geschäft mit dem Glücksspiel ein. Sie bauten 1992 ein riesiges Casino mit 2700 einarmigen Banditen und 80 Blackjack-Tischen - der Grundstein, mit dem sie sich innerhalb kurzer Zeit vom "Status eines Entwicklungslandes (...) in den amerikanischen Wohlstand katapultiert" haben (Schenz, S.2), wie es der Vizehäuptling des Stammes formuliert. Schon bald waren die Gewinne aus den Spielhallen so angewachsen, daß über neue Investitionsquellen nachgedacht werden mußte. So wurde dem Casino kurzerhand ein Hotel, ein Restaurant, mehrere Geschäfte und sogar eine Bank angeschlossen. (vgl. ebd., S.1) Binnen weniger Jahre wurde zusätzlich in die verschiedensten Wirtschaftszweige investiert: unter anderem in ein Einkaufszentrum, einen Internet- und einen Mobilfunkbetreiber, einen Industriepark, in dem unter anderem Elektronikbauteile hergestellt werden, in einen Golfplatz, eine Druckerei und in die Landwirtschaft. (vgl. Cornell, S.38) So steckten die Oneida 1997 circa 9% ihrer Casinoumsätze in die wirtschaftliche Weiterentwicklung ihres Reservats (vgl. ebd., S.63), haben sich damit zu einem der größten Arbeitgeber in der Region entwickelt und das ganze umliegende County in ein Wirtschaftsparadies verwandelt. (vgl. Schenz)

Fast 60% dagegen wurden für soziale Einrichtungen verwendet. (vgl Cornell, S.63) Das Casino finanzierte ihnen unter anderem ein Krankenhaus, mehrere Altenheime, ein Jugendzentrum, ein Frauenhaus und eine Beratungsstelle für Alkoholiker. (vgl. Schenz, S. 5)

Es werden neue Häuser gebaut, Jugendliche bekommen Unterstützung für ihre Ausbildung, es gibt für sie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in den Sommermonaten, Stammesmitglieder erhalten Zugang zu Job-Training oder Sprachprogrammen. Als einen der wichtigsten Verwendungszwecke sehen die Oneida jedoch die Erhaltung der stammeseigenen Kultur und Traditionen. (vgl. Cornell, S.65) Dieses Ziel kann in verschiedenen Formen zum Ausdruck kommen, sei es durch den Bau eines Kulturzentrums, eines Oneida-Museums oder einer Grundschule - in Form einer Schildkröte, einem heiligen Tier in der Mythologie der Oneida. Dort steht bis zur achten Klasse "Oneidisch" auf dem Lehrplan, eine Sprache, die in den 1970er Jahren eigentlich schon als ausgestorben galt. Um wirklich ganz sicherzugehen, daß sie für nachkommende Generationen erhalten bleibt, hat man sie darüber hinaus auf CD gepreßt. (vgl. Schenz, S.8)

Darüber hinaus sind die Oneida genau wie andere erfolgreiche Indianerstämme dabei, sich langsam Land zurückzukaufen, das sie in ihrer Geschichte verloren haben. So haben sie es geschafft, bis 1997 immerhin wieder 15% der Originalfläche ihres Reservats in ihren Besitz zu bringen. Damit ist über die Hälfte ihres Grundbesitzes erst seit Eröffnung des Casinos in ihren Händen. (vgl. Cornell, S.65)

Um das Reservat für die nichtindianischen Nachbarn des angrenzenden Counties aber nicht wie ein landfressendes Ungetüm erscheinen zu lassen, hält man sich auch deren Sympathien auf kleiner Flamme warm: so machen die Oneida schon mal eine Millionenspende für die neue Kongresshalle des nächstgelegenen Ortes Green Bay, retten dort auch mal einen Kindergarten vor der drohenden Schließung. Und weisen im lokalen Fernsehen von Green Bay täglich darauf hin, daß ihr Casino offizieller Sponsor des Stolzes der Region ist: der Green Bay Packers. (vgl. Schenz)

c) Die Mashantucket Pequots in Connesticut

So vielversprechend die Geschichte der Oneida auch ist, kein anderer Stamm kann auf einen solch durchschlagenden Erfolg zurückblicken, wie dies die Mashantucket Pequots in Connecticut tun. Sie haben sich zum wirtschaftlich rentabelsten und finanziell unabhängigsten der gesamten Vereinigten Staaten entwickelt. Mit Hilfe des Glücksspiels haben sie sich selbst vor dem Aussterben bewahrt und besitzen heute das größte Casino der westlichen Hemisphäre - 1995 mit einem Gewinn von fast einer Milliarde Dollar. Doch wie kam dieser beispiellose Erfolg zustande?

1950 lebten nur noch vier oder fünf Pequots auf dem Reservat. Und auch diese Zahl verringerte sich bis 1970, als nur noch zwei Frauen übrigblieben. Dies änderte sich jedoch, als 1974 Richard Hayward Vorsitzender des Stammes wurde. (vgl. Harvey, S.150ff.) Er entwickelte ein Vier-Punkte-Programm, um das Überleben des Stammes zu sichern. So wollte er ausgewanderte Stammesmitglieder dazu bewegen, wieder auf das Reservat zuückzukehren; damit sie auch dort blieben, mußte er das Reservat vergrößern und für Abeit sorgen; ferner wollte er einen selbstverwalteten und wirtschaftlich autarken Stamm schaffen sowie das Reservat zu einem Zentrum indianischer Kultur mit Museum und Lehrmöglichkeiten ausbauen. (vgl. ebd., S. 158) Kurze Zeit später begannen die Pequots schließlich mit dem Anbau von Gemüse und der Aufzucht von Schweinen, sie stellten Ahornsirup her und kauften ein Pizzarestaurant. All dies warf zwar für den Stamm etwas Gewinn ab, reichte aber nicht, um auf eigenen Füßen zu stehen. Doch immerhin kehrten seit Ende der 1970er immer mehr Pequots auf das Reservat zurück. 1983 erhielten sie von der US-Regierung eine finanzielle Unterstützung von 900000 Dollar, die den Weg ebnete für wirtschaftlichen Aufschwung und den Kauf von Land. Doch immer noch benötigten sie größere Geldsummen als die Gewinne, die ihre wirtschaftlichen Aktivitäten abwarfen. 1986 bauten sie eine Bingo-Halle, die ihnen innerhalb der ersten zwei Jahre schon über 4,5 Millionen Dollar einbrachte. Dies ermöglichte den Pequots, ihre wirtschaftlichen Pläne weiter in die Tat umzusetzen, Arbeitsplätze zu schaffen und zusätzlich Land zu kaufen. 1992 schließlich eröffneten sie mit Hilfe eines chinesischen Investors das 60 Millionen Dollar teure Foxwoods High Stakes Bingo & Casino.

Schon zu dieser Zeit beschäftigten sie 2300 Angestellte. Ein Jahr später schlossen sie mit dem Staat Connecticut eine Vereinbarung, die ihnen erlaubte, auch einarmige Banditen im Casino anzubieten. Dafür würde der Stamm 25% des aus den Spielautomaten stammenden Umsatzes, mindestens aber 100 Millionen Dollar, an den Staat zahlen. Seitdem hat das Casino unaufhörlich expandiert. Schon 1996 ist die Zahl der Angestellten auf 10000 angestiegen. (vgl. Harvey, S. 180ff.)

Betrachtet man heute die Internetseite des Foxwoods Casino, kann man schwer glauben, daß die Pequots einmal kurz vor dem Aussterben standen. Da gibt es zum Beispiel 24 verschiedene Restaurants, vom vietnamesischen Spezialitätenrestaurant bis hin zum Seafood. Man kann sich aussuchen, in welchem der sechs Hotels mit insgesamt 1400 Gästezimmern man übernachten oder auf welchem der zwei Golfplätze man putten will. Da treten im casinoeigenen Theater internationale Showgrößen wie Julio Iglesias, Smokey Robinson oder Willie Nelson auf, das Einkaufszentrum bietet 17 verschiedene Geschäfte, sei es der Juwelier, der Golfladen, die Modeboutique oder ein Laden speziell für traditionell indianische Produkte. Firmen können in 25 verschiedenen Konferenzräumen tagen, Vergnügungssuchende im über 8000 Quadratmeter großen Ballsaal das Tanzbein schwingen. Und auch die Stellenangebote des Casinos sind enorm. Vom Klempner bis zum Tellerwäscher, vom Aufrufer für Bingozahlen bis zum Shuttle-Bus-Fahrer werden alle erdenklichen Arbeitsplätze offeriert. (vgl. foxwoods.com) Doch die Pequots haben nicht nur in diesen gigantischen Freizeitpark investiert. 1998 haben sie mit dem Mashantucket Pequot Museum and Research Center die größte von Indianern betriebene Einrichtung dieser Art eröffnet, die es in den USA gibt. Es ist eines der wichtigsten Zentren für indianische Studien, das neben Stammesmitgliedern auch Wissenschaftlern, Schulkindern und allen anderen Besuchern des Reservats offen steht. Das fast 200 Millionen Dollar teure Zentrum beherbergt eine Gallerie für Kunst der Pequots, Klassenzimmer, eine Bibliothek und ein Museum, das die Geschichte und Kultur der Pequots und anderer Indianerstämme des amerikanischen Ostens seit dem 16. Jahrhundert darstellt. (vgl. mashantucket.com)

Doch nicht nur für die Pequots ist das Casino eine anscheinend nicht versiegende Einnahmequelle. Auch der Staat Connecticut profitiert immens davon. Neben den bereits erwähnten mindestens 100 Millionen Dollar jährlich aus den Spielautomaten bringen über 40000 Besucher pro Tag fast eine weitere Milliarde Dollar ein. (vgl. Economist, 1998) Darüber hinaus ist das Casino mit seinen schon 1995 fast 10000 Arbeitsplätzen zu einem der größten Arbeitgeber überhaupt in der Gegend angewachsen. (vgl. Economist, 1995) Und das in einer Region, die dringend auf neue Arbeit angewiesen war. Denn zwischen 1989 und 1993 gingen über 180000 Stellen verloren, (vgl. Economist, 1993), hauptsächlich durch die Abwanderung der Rüstungsindustrie. So bauen heute beispielsweise ehemalige U-Boot-Konstrukteure Ausflugsboote, die Besucher direkt aus New York zum Casino bringen. (vgl. Economist, 1998) Nur die an das Reservat angrenzenden Gemeinden sehen einer nicht ganz so positiven Zukunft entgegen.

Denn durch einen immer weiteren Aufkauf umliegenden Landes, immerhin eines des wertvollsten in ganz Connecticut überhaupt, entziehen die - Steuerfreiheit genießenden - Pequots dieses den Steuereinnahmen der Gemeinden, auf denen das Land vormals lag. (vgl. Economist, 1993)

Auswirkungen auf die zuständigen Staaten am Beispiel Minnesotas

Daß nicht nur die Indianer selbst, sondern auch die Staaten, auf derem Gebiet ihre Reservate liegen, von den Casinos profitieren, ist bereits angeklungen. In welchem Umfang dies der Fall ist, soll exemplarisch am Beispiel Minnesota gezeigt werden.

1995 arbeiteten in den indianischen Casinos des Staates insgesamt 11465 Menschen. Nur knapp mehr als 3000 oder etwa 27% von ihnen waren Indianer, mit fast 8500 oder etwa 73% kam dagegen der überwiegende Großteil der Angestellten von außerhalb der Reservate. Nicht eingerechnet waren dabei tausende zusätzlicher Arbeitsplätze, die in den Zulieferbetrieben und in ebenfalls von den Casinos profitierenden Geschäftszweigen wie etwa dem Tourismus entstanden. (vgl. Marquette Advisors, S.1)

10 der 17 Casinos wurden damit der wichtigste Arbeitgeber für die nächst gelegene größere Stadt. (vgl. ebd., S. 5) Auf staatlicher Ebene würden alle Casinos zusammen immerhin auf Rang neun aller Arbeitgeber Minnesotas rangieren. (vgl ebd., S.8) 1995 zahlten sie ein Gehalt von insgesamt fast 185 Millionen Dollar oder durchschnittlich circa 16000 Dollar pro Angestellten aus - ein höheres Durchschnittsgehalt als in jedem anderen Segment der Unterhaltungsindustrie Minnesotas.

Durch diese Gehälter gelangten 1995 über 25 Millionen Dollar an Sozialversicherung und Medicare sowie knapp zwei Millionen Dollar an Arbeitslosenversicherung in die Kassen Minnesotas. Insgesamt beliefen sich die Steuerabgaben an den Bund auf fast 20 Millionen Dollar, an den Staat auf etwa 7,5 Millionen Dollar. Dazu kamen noch 5,7 Millionen Dollar für vom Staat bereitgestellte Dienste wie Polizei und Feuerwehr. (vgl. ebd., S.11)

Doch nicht nur die Steuereinnahmen wirken sich positiv auf den Staatshaushalt aus. Circa 11,5% der Angestellten waren vorher auf Arbeitslosenunterstützung sowie fast 6% auf Sozialhilfe angewiesen, weitere 15% waren bereits sechs Monate oder länger arbeitslos. Man kann sich nur ungefähr vorstellen, wieviel der Staat Minnesota durch die wiedergewonnen Arbeitskräfte an finanzieller Unterstützung einspart. (vgl. Marquette Advisors, S.13)

Betrachtet man abschließend noch die durch die Casinos verursachten wirtschaftlichen Multiplikatoren, wird endgültig klar, welch enormes Geschäft sie auch für die staatlichen Finanzen bedeuten.

So rechnet man damit, daß sich mit den Casinos in Verbindung stehende Bautätigkeiten 1995 alleine in Minnesota auf über 230 Millionen Dollar beliefen. Desweiteren gaben die Indianer Minnesotas 1995 über 100 Millionen Dollar für Zulieferbetreibe, Versicherungen, Werbung und andere Dienstleistungen aus. (vgl. ebd., S.19) Im selben Jahr zogen sie fast 20 Millionen Besucher an, die etwa 116 Millionen Dollar in den Casinos ließen.

Alles in allem profitierte also auch Minnesota enorm vom indianischen Glücksspiel. Genauso tun dies auch andere Staaten. Eine Änderung des Indian Gaming Regulatory Act würde demnach möglicherweise für jeden von ihnen bedeuten, auf mehrstellige Millioneneinnahmen verzichten zu müssen.

Resumée

Wie diese Arbeit zeigen sollte, hat sich das Glücksspiel binnen weniger Jahre zu einem wirkungsvollen Instrument für eine zumindest teilweise Rückerlangung der Souveränität der indianischen Stämme und ihrer Reservate entwickelt. Wohl keine andere Maßnahme seitens der Bundesregierung zeigte in jüngerer Zeit eine solche Wirkung wie diejenige, ihnen das Recht auf eigene, größtenteils außerhalb staatlicher Kontrolle stehender Casinos zu gewähren. Auch wenn die Casinos viele negativen Konsequenzen mit sich brachten, scheinen die positiven doch ganz klar zu überwiegen. Nicht umsonst werden sie heute als "new buffalo" bezeichnet (vgl. Schenz) - in Anlehnung an die indianische Lebensgrundlage längst vergangener Zeiten.

Doch wohin führt der Weg? Erleidet - um bei diesem Bild zu bleiben - der "neue Büffel" ein ähnliches Schicksal wie der "alte"? Droht auch ihm die Ausrottung? Die Folgen für die Indianer wären wohl ähnlich fatal. Denn mit Budgeteinsparungen beim Bureau of Indian Affairs und bei staatlichen Förderprogrammen für Indianer werden sich die Reservate in nächster Zeit in eine immer tiefere Abhängigkeit vom Glücksspiel begeben. Und die Zukunft mag keineswegs so rosig aussehen, wie es die Gegenwart verspricht. Die ersten Staaten haben schon gegen die Verfassungsmäßigkeit der für die Eröffnung eines Casinos essentiellen Vertragsprozedur zwischen Stämmen und ihren zuständigen Staaten geklagt. So sind Änderungen des Indian Gaming Regulatory Act nur noch eine Frage der Zeit. Um sich ihren Anteil am enorm profitablen Glücksspielkuchen zu sichern, werden die Staaten darüber hinaus wohl früher oder später ihre Glücksspielgesetze lockern und dem gegenwärtigen Casinomonopol der Indianer ein Ende bereiten. So müssen sich die Stammesvorsitzenden wohl damit abfinden, daß die gegenwärtige Situation nicht ewig bestehen bleibt. Der einzige Weg aus der Abhängigkeit von den Casinos ist der, die Einnahmen in andere Wirtschaftszweige zu investieren und dadurch wirtschaftliche Alternativen zu schaffen. Ansonsten werden sie nach Änderung der Gesetze wieder genauso auf Gelder aus Washington angewiesen sein, wie sie es vor dem Casinoboom waren. Nur mit dem Unterschied, daß die Bundesregierung vielleicht nicht länger ihren finanziellen Forderungen nachkommen will oder kann.

Literaturverzeichnis

  • Anders, Gary C. "Indian Gaming: Financial and Regulatory Issues." In: Annals of the American Academy of Political and Social Science, März 1998, S.98-108

    Boyer, Paul S. u.a. The Enduring Vision. 3. Auflage. Lexington: D.C. Heath and Company, 1993

    Cornell, Stephen / Kalt, Joseph u.a. American Indian Gaming Policy and its Socio-Economic Effects. Cambridge: The Economics Resource Group, 1998

    The Economist, 18.September 1993, S.53: Tribal dance

    The Economist, 15. April 1995: How law is born

    The Economist, 13. Juni 1998: A stroke of luck

    Harvey, Sioux. "Two Models to Sovereignity: A Comparative History of the Mashantucket Pequot Tribal Nation and the Navajo Nation." In: American Indian Culture and Research Journal 20:1, 1996, S. 147-194

    Marquette Advisors. Economic Benefits of Indian Gaming in the State of Minnesota, 1997

    Schenz, Viola. "Erfolg ist die süßeste Rache." In: Wirtschaftsraum Nordamerika. Beilage der Süddeutschen Zeitung Nr. 80 vom 5.4.2000, S.V2/8

    Spilde, Kate: "Legal and Regulatory Issues of Indian Gaming." (unveröffentlicht)

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